Regensburg (ots) - Nach der diplomatischen Achterbahnfahrt des europäisch-amerikanischen Gipfel-Wochenendes will sich Europa in Zukunft mehr auf sich selbst verlassen. Das hat Angela Merkel, die derzeit mächtigste Frau in der EU, recht unverblümt erklärt. Die französische Zeitung "Liberation" will im Zusammenspiel Merkels mit dem neuen französischen Präsidenten Emmanuel Macron gar ein neues "Powerpaar" auf europäischer Bühne entdeckt haben. Aber kommt der viel beschworene deutsch-französische Motor wirklich wieder in Gang? Und kann die EU in ihrer heutigen Struktur und inneren Befindlichkeit tatsächlich eine eigenständige, selbstbewusste Rolle auf der Weltbühne spielen? Geht man die Bereiche, wo die Zusammenarbeit mit den USA nicht mehr oder nur schlecht funktioniert, der Reihe nach durch, ist die Bilanz ernüchternd. Ein Beispiel ist die geheimdienstliche Kooperation. Natürlich ist es zutiefst verstörend, dass als vertraulich eingestufte Erkenntnisse befreundeter Geheimdienste wohl schon mehrfach vom neuen amerikanischen Präsidenten gegenüber russischen Gesprächspartnern ausgeplaudert wurden. Doch auf Hinweise amerikanischer Quellen sind die Europäer auch in Zukunft angewiesen. Ihre eigenen Ressourcen sind nicht groß genug. Und es hapert an der Kooperation. Oft klappt der Austausch mit Washington deutlich besser als untereinander. Auch beim heiklen Thema Freihandel ist in der EU nicht alles eitel Sonnenschein. Erste Ideen des neuen französischen Präsidenten darüber, wie er heimische Firmen und soziale Besitzstände französischer Arbeitnehmer gegen ausländische Konkurrenz verteidigen will, tragen deutlich protektionistische Züge. Von Trumps "America first" oder den forschen Reden der britischen Premierministerin über einen "harten Brexit" ist das gar nicht so weit entfernt. Wenn aber Großbritannien der EU den Rücken kehrt, im extremsten Fall sogar ohne Handelsabkommen, und Frankreich den schrankenlosen Binnenmarkt infrage stellt, was bleibt dann vom innereuropäischen Freihandel noch übrig? Wenig besser sieht es bei einem Thema aus, auf das sich Europa in Kontrast zu Trump besonders viel zugutehält: Bei den freiheitlich-demokratischen Grundwerten. In Ungarn und Polen ist der Umbau zu autoritären Nationalstaaten in vollem Gange. Die Pressefreiheit wird demontiert, das Verfassungsgericht geknebelt und die EU-Kommission als zentralistische Kontrollbehörde dämonisiert. Hier steckt die EU in einem teuflischen Dilemma: Eigentlich müsste sie, um ihre Substanz zu retten, Abweichlern die Rote Karte zeigen. Gleichzeitig kann sie eine Austrittswelle im Schlepptau des Brexit überhaupt nicht gebrauchen. Nur eine bevölkerungsreiche und ökonomisch gewichtige EU kann glaubwürdig das Ziel verfolgen, sich auf die eigene Stärke zu besinnen. Ob das gelingt, wird entscheidend vom Ausgang des britischen Experiments, von einem möglichen Aufschwung in Frankreich und von den Wählern in Osteuropa abhängen. Bislang sagen die Experten dem Vereinigten Königreich nach dem Austritt aus der EU einen dramatischen wirtschaftlichen Einbruch voraus. Macron wird den von den Franzosen herbeigesehnten ökonomischen Schub nur erreichen, wenn er seinen Landsleuten die von der EU geforderten unpopulären Strukturreformen abringt. In Polen und Ungarn muss den Menschen klar werden, dass die dringend benötigten EU-Subventionen ausbleiben, wenn sie antieuropäischen Parteien ihre Stimme geben. Die Botschaft muss lauten: Wer zur EU gehören will, muss sich an die gemeinsam vereinbarten Spielregeln halten. Und das zahlt sich am Ende aus.
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