BERLIN (dpa-AFX) - Die Berliner Senatsverwaltung hat Zahlen vorgelegt, nach denen 2018 Tausende Pflegestellen neu besetzt werden müssen. Für kommendes Jahr gibt es nach den Prognosen einen Bedarf von rund 47 700 Pflege- und Pflegehilfskräften. Tatsächlich gab es zuletzt 43 500 Arbeitnehmer in diesen Bereichen. Pflege- und Wohlfahrtsverbände rechnen langfristig mit einem weitaus höheren Bedarf. Die Gewerkschaft Verdi wirft Arbeitgebern vor, das Problem selbst herbeigeführt zu haben.
Neun Kliniken werden in Berlin von Vivantes betrieben. Sprecherin Kristina Tschenett zufolge hat das Unternehmen vergangenes Jahr bereits 558 Mitarbeiter eingestellt, hauptsächlich im Pflegebereich. Dennoch liefen diesen September noch 170 Ausschreibungen, teils für mehrere Stellen. Bei der Anwerbung im Ausland konzentriere man sich auf Südostasien: 76 Vietnamesinnen hätten vergangenes Jahr ihre Ausbildung begonnen. Insgesamt beschäftigt Vivantes in Berlin 6150 Pflegekräfte.
Auch die zuletzt bestreikte Charité hat eigenen Angaben zufolge zu wenig Pflegekräfte. 80 Pfleger werden noch im stationären Bereich gebraucht, auf den Intensivstationen fehlen 50 Vollzeitkräfte. Durch eine hohe Fluktuation müsse die Charité jährlich allein 250 Menschen einstellen, um den Ist-Zustand zu halten.
Etwas geringer ist der Bedarf in den beiden Helios-Kliniken in Berlin, in denen 1140 Mitarbeiter in der Pflege beschäftig sind. Dort suche man 60 neue Kräfte, teilte Sprecherin Barbara Ley auf Anfrage mit. "Es gelingt uns leider aufgrund des Fachkräftemangels nicht, alle offenen Stellen zu besetzen."
Aus Sicht der Gewerkschaft Verdi ist das Problem des Fachkräftemangels "hausgemacht". In den Berliner Krankenhäusern gebe es zwar eine Personalnot, aber keinen Fachkräftemangel, erklärt Verdi-Sprecherin Astrid Sauermann. Die Kliniken hätten es versäumt, 1700 nötige Stellen zu schaffen, was die vorhandenen Mitarbeiter überlaste. Die Arbeit werde zudem so schlecht bezahlt, dass sich niemand auf die offenen Stellen bewerben wolle. Vor allem in der Altenpflege seien die Löhne "beschämend niedrig", meint Sauermann.
Die Caritas sucht in Berlin 11 Mitarbeiter für ihre Pflegeheime. Auch in den Sozialstationen sei die Nachfrage nach Pflegeleistungen gestiegen, weshalb dort 52 Pflege- und Pflegehilfskräfte gebraucht würden. "Perspektivisch gehen in unseren Berliner Einrichtungen in den kommenden fünf Jahren 29 Pflegefachkräfte und 65 Pflegehilfskräfte in Rente", sagt Thomas Gleißner, Sprecher des Caritasverbands im Erzbistum Berlin. Das erhöhe den Personalbedarf zusätzlich.
Hans-Joachim Wasel, bei der Caritas Fachreferent für Altenhilfe, sieht große Probleme vor allem in der ambulanten Pflege: "Dort wird die Versorgung von Neukunden von den Pflegediensten häufig aus Gründen des Personalmangels abgelehnt." Das geschehe "unter dem Radar der Öffentlichkeit" - obwohl zahlreiche Pflegedienste davon berichteten. Auch die Zahlung von Mindestlöhnen würde zu selten kontrolliert. Gerade einmal ein Prozent der Beschäftigten werde von den Kontrollen des Hauptzollamtes Berlin erfasst, berichtet Wasel.
Der Deutsche Pflegeverband schätzt, dass aus heutiger Sicht im Jahr 2030 in Berlin 20 000 zusätzliche Pflegestellen benötigt werden. Um diese und die derzeit offenen Stellen aber besetzen zu können, müssen sich laut Geschäftsführer Rolf Höfert die Rahmenbedingungen für Pflegeberufe verbessern: "Das beinhaltet eine leistungsgerechte Bezahlung, Reduzierung der Arbeitsbelastung und familienfreundliche Arbeitszeitmodelle."/bur/DP/men
AXC0019 2017-10-01/14:52