MÜNCHEN/PEKING (dpa-AFX) - Ungeachtet einer Delle in diesem Jahr könnten chinesische Firmenübernahmen in Deutschland nach Einschätzung von Fachleuten bald wieder Rekordniveau erreichen.
So geht der Ökonom Liu Yuanchun von der Pekinger Volksuniversität davon aus, dass sich die Einkaufstour chinesischer Firmen in Deutschland fortsetzen wird - wenn auch unter geänderten Vorzeichen. Das überragende Ziel der Pekinger Führung sei es, China bis zum Jahr 2049, dem 100. Geburtstag der Volksrepublik, zu einer "Industrie-Supermacht" aufsteigen zu lassen. "Ohne Zukäufe in Deutschland ist das nicht zu machen", sagte Liu der Deutschen Presse-Agentur. Er schätzt, dass das Volumen der Übernahmen durch neue Regeln in diesem Jahr zwar zurückgehen wird. Schon bald seien aber neue Rekorde möglich.
Um die massive Kapitalflucht ins Ausland einzudämmen, hat die chinesische KP Auslandsinvestitionen von Privatfirmen in mehreren Branchen inzwischen Zügel angelegt. Die seit kurzem geltenden Beschränkungen sehen vor, dass chinesische Unternehmen sich bei Zukäufen im Immobiliensektor, in der Unterhaltungsindustrie und im Finanzsektor zurückhalten.
Aus Sicht Pekings würden solche Geschäfte vor allem dazu führen, dass Kapital aus China abgezogen wird, sagt Liu. Den großen Umbauplan für die heimische Wirtschaft bringen sie dagegen nicht voran. "Deshalb liegt der Fokus bald noch mehr auf Technologie", meint der Ökonom.
Das deckt sich weitgehend mit der Einschätzung der Unternehmensberatung EY, die chinesische Übernahmen in Europa beobachtet und chinesische Investoren berät. Im ersten Halbjahr investierten Unternehmen aus dem Reich der Mitte demnach 6,5 Milliarden US-Dollar in Deutschland, ein Minus von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. In den kommenden Jahren könnten chinesische Übernahmen aber wieder ein vergleichbares oder sogar höheres Niveau als 2016 erreichen, sagte EY-Berater Alexander Kron im Juli.
Auch in den USA brachen chinesische Investitionen im ersten Halbjahr um 50 Prozent auf 17 Milliarden Dollar ein. Das meldete das American Enterprise Institute (AEI), das chinesische Aktivitäten weltweit im "China Global Investment Tracker" beobachtet. Die Chinafachleute der konservativen US-Denkfabrik sehen das vor allem als Beleg, dass die chinesische KP die Zügel wieder fest in die Hand genommen hat.
Rapide expandiert in Europa haben in den vergangenen Jahren auch die vier größten chinesischen Banken: Allein die Bank of China hat inzwischen sechs Geschäftsstellen in Deutschland.
Bislang sind die Geldhäuser aus dem Fernen Osten im Ausland noch keine große Macht: "Chinesische Banken machen nach wie vor einen verschwindend kleinen Anteil ihres Geschäfts im Ausland, höchstens fünf Prozent der Gesamtumsätze", sagt Horst Löchel, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management und Fachmann für das chinesische Finanzwesen. "Die bisherigen Auslandsinvestitionen sind bislang nur ein kleiner Anfang, wenn die Chinesen richtig Gas geben würden, wären das ganz andere Volumina." Die Chinesen gingen langsam und vorsichtig vor, der chinesische Bankensektor sei im Vergleich zu anderen Branchen der chinesischen Volkswirtschaft eher rückständig.
"Es steht beispielsweise nicht zu erwarten, dass aus den sechs Niederlassungen der Bank of China in Deutschland in den nächsten zwei Jahren doppelt so viele werden", sagt Löchel. "Zu erwarten sind eher strategische Beteiligungen an westlichen Banken gerade angesichts der Ertragsschwäche der europäischen Banken und der vergleichsweise niedrigen Aktienkurse."
Chinesische Firmenübernahmen sind ein politisch heikles Thema: Pekings Kampfansage an den Westen und Japan trägt den Titel "Made in China 2025". Der ehrgeizige Regierungsplan sieht vor, in vielen Sektoren die Technologielücke zum Ausland zu schließen und selbst Weltmarktführer hervorzubringen. Produktionsanlagen sollen modernisiert werden und der Import ausländischer Technologie durch eigene Innovationen ersetzt werden.
Ein weiteres Problem: Chinesische Firmen zahlen oft Rekordsummen für Firmenübernahmen - doch woher das Geld stammt, ist in der Regel nicht durchschaubar. Deutlich ist jedoch, dass der Boom der chinesischen Wirtschaft zum Teil auf einem Schuldenboom basiert: Zwischen 2011 und 2016 hätten sich die Kredite an Nichtbanken in China verdoppelt, schreibt der Chinawissenschaftler Markus Taube in einem kürzlich erschienen Aufsatz für das Münchner ifo-Institut.
Zwar ist die chinesische Staatsverschuldung niedrig, doch Chinas Unternehmen stehen tief in der Kreide: Der Verschuldungsgrad der chinesischen Unternehmen habe inzwischen 230 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht, schreibt Taube./cho/jpt/DP/men
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