HANNOVER (dpa-AFX) - Triumph für die SPD, schwere Schlappe für die CDU: Drei Wochen nach ihrer historischen Niederlage bei der Bundestagswahl haben die Sozialdemokraten die Landtagswahl in Niedersachsen überraschend klar gewonnen. Eine Fortsetzung von Rot-Grün ist nach den Hochrechnungen aber voraussichtlich nicht möglich. Die CDU fiel auf ihr schlechtestes Ergebnis seit 1959 - dabei hatte sie in Umfragen lange geführt.
Die Koalition in Niedersachsen ist das letzte rot-grüne Bündnis in einem Flächenland. Sollte es endgültig nicht für die von SPD und Grünen favorisierte Fortsetzung reichen, steht in Hannover eine schwierige Regierungsbildung bevor.
Rechnerisch möglich sind in jedem Fall eine große Koalition aus SPD und CDU, ein Ampelbündnis von SPD, FDP und Grünen sowie eine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen, wie sie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bund anstrebt. Die Liberalen schlossen eine Ampel am Wahlabend aber nochmals kategorisch aus. Die Grünen ließen ihre Haltung zu einer Jamaika-Koalition zunächst offen.
Die Sozialdemokraten werden nach den Hochrechnungen von ARD und ZDF kurz vor 22.00 Uhr zum ersten Mal seit 1998 wieder stärkste Kraft - mit 37,0 Prozent (2013: 32,6). Die CDU kommt nur noch auf 33,6 bis 33,8 Prozent (36,0). Die Grünen verlieren ebenfalls, erreichen aber mit 8,8 bis 8,9 Prozent (13,7) Platz drei. Die FDP landet bei 7,4 bis 7,5 Prozent (9,9).
Die AfD schafft mit 6,1 Prozent den Einzug ins Parlament. Die Linke verfehlt mit 4,6 Prozent (3,1) den Sprung in den Landtag. Damit sind künftig fünf statt vier Parteien im Landtag vertreten. Die Wahlbeteiligung stieg auf 63,1 bis 63,5 Prozent (59,4 Prozent).
Die Sitzverteilung sieht bei der ARD - ausgehend von 135 Sitzen - so aus: CDU 49 (2013: 54), SPD 54 (49), Grüne 13 (20), FDP 10 (14) und die AfD 9 (0). Rot-Grün kommt damit - ohne Überhangmandate - auf 67 Mandate. Die absolute Mehrheit liegt bei 68 Mandaten.
Nach einer Analyse von Infratest dimap für die ARD wird es im neuen Landtag aber infolge von Überhangmandaten voraussichtlich 142 Sitze geben. SPD und Grüne kämen danach auf 70 Sitze, was ebenfalls nicht reichen würde.
Nach Berechnungen der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF wird es wohl nur ein Überhang- und ein Ausgleichsmandat geben. Damit gäbe es 137 Sitze im Parlament. Rot-Grün erreicht demnach 68 Mandate, was ebenfalls zu wenig wäre. Nach den Berechnungen des ZDF kommen die CDU auf 49, die SPD auf 55, Grüne auf 13, FDP auf 11 und die AfD auf 9 Sitze.
Ministerpräsident und Wahlsieger Stephan Weil sprach von einem "fulminanten Erfolg" für die SPD: "Wir können zum ersten Mal seit der letzten Landtagswahl mit Gerhard Schröder vor 19 Jahren wieder die stärkste Fraktion im Landtag werden, das ist großartig." Aus seiner Sicht sorgte auch der Gang der Bundes-SPD in die Opposition für Rückenwind. Weil kündigte an, er wolle mit allen Landtagsparteien außer der AfD über mögliche Koalitionen sprechen. Nach einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen geht der SPD-Sieg in Niedersachsen stark auf das hohe Ansehen Weils und auf Landesthemen zurück.
Die Neuwahl wurde nötig, weil die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten Anfang August von den Grünen zur CDU gewechselt war. Die seit 2013 regierende rot-grüne Koalition verlor damit ihre Ein-Stimmen-Mehrheit, die Stimmung zwischen SPD und Grünen auf der einen und der CDU auf der andere Seite gilt seither als vergiftet.
CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann führte die Verluste auch auf einen negativen Bundestrend zurück: "Es war am Ende eher ein bisschen mehr Gegenwind." Er sieht dennoch einen Auftrag zum Mitregieren: "Auch wir, in welcher Konstellation auch immer, haben einen klaren Gestaltungsauftrag für Niedersachsen". Dies ginge rechnerisch in einer Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen oder als Juniorpartner der SPD in einer großen Koalition. Landesinnenminister Boris Pistorius (SPD) zeigte sich offen für eine große Koalition.
Die FDP lehnt eine Ampel zwar ab, zeigte sich aber offen für Jamaika-Gespräche. Die Grünen wollten sich zunächst nicht festlegen. "Wir führen jetzt keine Debatte über Jamaika, sondern wir hoffen, dass es für eine Fortsetzung von Rot-Grün reicht", sagte Spitzenkandidatin Anja Piel.
Für die SPD bedeutet das Ergebnis einen Riesenerfolg zum Ende des Superwahljahres. Neben der Bundestagswahl verlor die Partei in diesem Jahr alle drei bisherigen Landtagswahlen. Die Wahl in Niedersachsen könnte SPD-Chef Martin Schulz Auftrieb geben, der sich trotz seiner gescheiterten Kanzlerkandidatur im Dezember zur Wiederwahl stellen will. Er hatte unmittelbar nach der Bundestagswahl angekündigt, die SPD in die Opposition zu führen.
Schulz erklärte, was Weil in den letzten Wochen geleistet habe, sei "einzigartig in der Wahlkampfgeschichte der Bundesrepublik Deutschland". Er hoffe, dass die SPD bundesweit davon profitiere. SPD-Vize Ralf Stegner wertete den Erfolg als Beleg dafür, dass Schulz die Partei sehr erfolgreich führe. Er werde den Erneuerungsprozess in Richtung einer linken Volkspartei einleiten, "die sich deutlich gegen die Union stellt".
Großer Verlierer ist die CDU. Mitte August hatte die CDU in Umfragen noch bei rund 40 Prozent gelegen. Der CDU-Wirtschaftsrat gab Merkel eine Mitschuld. Mit Blick auf die Bundestagswahl sagte Generalsekretär Wolfgang Steiger der "Bild": "Die Wahlverlierer, die am Wahlabend gesagt haben "Wir haben verstanden", haben heute in Hannover gewonnen. Diejenigen, die erklärten, sie hätten "alles richtig gemacht", sind diesmal Verlierer."
CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer wertete die Niederlage als "erneutes Alarmsignal" für die gesamte Union. Er kündigte eine klare Kante der CSU in den anstehenden Sondierungsgesprächen über ein Jamaika-Bündnis auf Bundesebene an. Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin befürchtet, dass die CDU-Pleite die Verhandlungen erschwert./seb/DP/zb
AXC0082 2017-10-15/22:27