Bielefeld (ots) - Nüchtern betrachtet, ist eigentlich gar nicht so viel passiert, könnte man meinen. Parteien haben sich beraten, ob sie eine Koalition bilden wollen oder nicht. Ein ganz normaler politischer Vorgang zur Bildung einer neuen Regierung also. Somit viel Aufregung um nichts? Nein, die Folgen sind gravierend. Sie gehen weit über die Frage hinaus, ob es im Frühjahr 2018 zu Neuwahlen kommen wird oder nicht.
Das Scheitern von Jamaika bedeutet allerdings nicht den Untergang Deutschlands. Das Land befindet sich auch nicht in einer Staatskrise, wie einige behaupten. Deutschland geht es gut. Die staatlichen Institutionen funktionieren. Eine geschäftsführende Regierung ist im Amt und wickelt die Alltagsgeschäfte ab. Aber: Die Menschen sind bitter enttäuscht. Zu Recht! Sie haben eine Einigung erwartet und wünschten sich eine Regierung und Lösungen für das Land statt Hochglanzfotos vom Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin und dem ständigen Gerede von roten Linien und gegenseitigen Schuldvorwürfen der Parteien.
Von dem Scheitern der Jamaika-Gespräche geht ein sehr schlechtes Signal aus. Nämlich: Die da oben können oder wollen sich nicht einigen. In allen Bereichen des täglichen Lebens müssen Menschen jeden Tag Kompromisse finden. Nur die Politiker bekommen es nicht hin. Von staatspolitischer Verantwortung reden, aber nicht danach handeln, so lautet der Vorwurf vieler Deutscher.
Womit wir bei der Frage nach dem oder den Schuldigen wären. Die FDP hat eine Entscheidung getroffen, die es zu respektieren gilt. Gut finden muss man sie deshalb aber noch lange nicht. Man darf sich wundern, dass ausgerechnet die zweitstärkste Partei der Sondierungsgruppe die Gespräche platzen ließ. Ausgerechnet die FDP, der mit der verhandlungsführenden Union mehr Gemeinsamkeiten nachgesagt werden als beispielsweise der CDU/CSU mit den Grünen. Fraglich ist auch, dass Union und Grüne kurz vor dem Ende der Gespräche meinten, ganz knapp vor einer Einigung gewesen zu sein, Christian Lindner und Wolfgang Kubicki aber offenbar meilenweit davon entfernt wirkten. Die große Frage ist, warum die FDP nicht schon viel früher ausgestiegen ist, wenn doch so vieles nicht gepasst hat und das Vertrauen unter den Verhandlern fehlte.
Nicht auszuschließen ist, dass CDU-Vize Julia Klöckner mit ihrer Aussage von einer »gut vorbereiteten Spontanität« der Liberalen Recht haben könnte. Immerhin wirkten die Presseerklärungen der FDP schon in der Nacht gut vorbereitet, was die Vermutung nahe legt, dass Lindner den Ausstieg von längerer Hand geplant haben könnte, als er zugibt.
Wer der FDP nun aber angesichts Lindners Unabhängigkeitskurs, der schon in Niedersachsen zur Ablehnung einer Ampelkoalition mit der SPD und den Grünen geführt hat, vorwerfen würde, nicht regierungsfähig zu sein, liegt sicher falsch. Diese Beschreibung trifft aktuell viel stärker auf die SPD zu, womit wir schon zwei Parteien im Parlament haben, die ganz offensichtlich nicht bereit sind, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen oder zu können. Hinzu kommen die Linken und die AfD, jede für sich aus unterschiedlichen Gründen nicht regierungsfähig. Wer unter diesen Voraussetzungen glaubt, Regierungsbildung sei einfach, erkennt die Realitäten nicht.
Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen gibt es keine Gewinner, sondern fast nur Verlierer. Allen voran gehört die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz zwangsläufig zu dieser Kategorie. Nicht, weil sie selbst nicht kompromissfähig genug war. Das Gegenteil ist der Fall. Sehr wohl aber, weil sie die Regierungsbildung bislang nicht hinbekommen hat, um sich erneut zur Kanzlerin wählen zu lassen. Jetzt droht ihr in den nächsten Wochen ein Spießrutenlauf - entweder auf dem langen Weg zu Neuwahlen oder als Kanzlerin mit wechselnden Mehrheiten. Beides ist für Merkel eine Katastrophe. Ihr Ausweg führt nur über die SPD, mit der sie sich in die Große Koalition retten könnte. Auf die Gnade dieser SPD angewiesen zu sein, ist ein ganz schwacher Trost und zeigt Merkels schwierige Lage.
Kommt es zu Neuwahlen, was naheliegend ist, könnte es die etablierten Parteien erneut hart treffen. Allen voran der SPD drohen ganz schwere Zeiten. Sie sitzt in der Klemme. Folgt sie dem Bundespräsidenten - kaum zu glauben - und übernimmt doch noch Verantwortung in einer Großen Koalition, verliert sie den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Bei Neuwahlen droht der Partei der Sturz Richtung 15 Prozent und sogar darunter.
Spätestens dann würde sich die Frage nach dem Personal an der Spitze der Sozialdemokraten stellen müssen. Martin Schulz macht weiter keine gute Figur. Auch gestern verstrickte er sich erneut in Widersprüche, als er den Jamaika-Verhandlern Zeitverschwendung vorhielt und gleichzeitig davon sprach, für mögliche Neuwahlen alle Zeit zur Verfügung zu haben.
Die Uhr tickt auch für Horst Seehofer. Der CSU-Chef ist eine weitere Schlüsselfigur, die ihr politisches Aus fürchten muss. Die Jamaika-Gespräche haben ihm eher weiter geschadet als geholfen.
Wie geht es weiter in Deutschland? Vom Abbau des Solidaritätszuschlags oder einem schrittweisen Familiennachzug für Flüchtlinge hängt nicht die Zukunft der Bundesrepublik ab. Viel wichtiger ist, wie die Politik wieder neues Vertrauen gewinnt, ob sie dem grassierenden Populismus etwas entgegenzusetzen hat und wie es gelingt, die Menschen in Deutschland wieder zu einen. Darauf muss die Politik Antworten finden.
OTS: Westfalen-Blatt newsroom: http://www.presseportal.de/nr/66306 newsroom via RSS: http://www.presseportal.de/rss/pm_66306.rss2
Pressekontakt: Westfalen-Blatt Chef vom Dienst Nachrichten Andreas Kolesch Telefon: 0521 - 585261
Das Scheitern von Jamaika bedeutet allerdings nicht den Untergang Deutschlands. Das Land befindet sich auch nicht in einer Staatskrise, wie einige behaupten. Deutschland geht es gut. Die staatlichen Institutionen funktionieren. Eine geschäftsführende Regierung ist im Amt und wickelt die Alltagsgeschäfte ab. Aber: Die Menschen sind bitter enttäuscht. Zu Recht! Sie haben eine Einigung erwartet und wünschten sich eine Regierung und Lösungen für das Land statt Hochglanzfotos vom Balkon der Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin und dem ständigen Gerede von roten Linien und gegenseitigen Schuldvorwürfen der Parteien.
Von dem Scheitern der Jamaika-Gespräche geht ein sehr schlechtes Signal aus. Nämlich: Die da oben können oder wollen sich nicht einigen. In allen Bereichen des täglichen Lebens müssen Menschen jeden Tag Kompromisse finden. Nur die Politiker bekommen es nicht hin. Von staatspolitischer Verantwortung reden, aber nicht danach handeln, so lautet der Vorwurf vieler Deutscher.
Womit wir bei der Frage nach dem oder den Schuldigen wären. Die FDP hat eine Entscheidung getroffen, die es zu respektieren gilt. Gut finden muss man sie deshalb aber noch lange nicht. Man darf sich wundern, dass ausgerechnet die zweitstärkste Partei der Sondierungsgruppe die Gespräche platzen ließ. Ausgerechnet die FDP, der mit der verhandlungsführenden Union mehr Gemeinsamkeiten nachgesagt werden als beispielsweise der CDU/CSU mit den Grünen. Fraglich ist auch, dass Union und Grüne kurz vor dem Ende der Gespräche meinten, ganz knapp vor einer Einigung gewesen zu sein, Christian Lindner und Wolfgang Kubicki aber offenbar meilenweit davon entfernt wirkten. Die große Frage ist, warum die FDP nicht schon viel früher ausgestiegen ist, wenn doch so vieles nicht gepasst hat und das Vertrauen unter den Verhandlern fehlte.
Nicht auszuschließen ist, dass CDU-Vize Julia Klöckner mit ihrer Aussage von einer »gut vorbereiteten Spontanität« der Liberalen Recht haben könnte. Immerhin wirkten die Presseerklärungen der FDP schon in der Nacht gut vorbereitet, was die Vermutung nahe legt, dass Lindner den Ausstieg von längerer Hand geplant haben könnte, als er zugibt.
Wer der FDP nun aber angesichts Lindners Unabhängigkeitskurs, der schon in Niedersachsen zur Ablehnung einer Ampelkoalition mit der SPD und den Grünen geführt hat, vorwerfen würde, nicht regierungsfähig zu sein, liegt sicher falsch. Diese Beschreibung trifft aktuell viel stärker auf die SPD zu, womit wir schon zwei Parteien im Parlament haben, die ganz offensichtlich nicht bereit sind, Regierungsverantwortung übernehmen zu wollen oder zu können. Hinzu kommen die Linken und die AfD, jede für sich aus unterschiedlichen Gründen nicht regierungsfähig. Wer unter diesen Voraussetzungen glaubt, Regierungsbildung sei einfach, erkennt die Realitäten nicht.
Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen gibt es keine Gewinner, sondern fast nur Verlierer. Allen voran gehört die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel ganz zwangsläufig zu dieser Kategorie. Nicht, weil sie selbst nicht kompromissfähig genug war. Das Gegenteil ist der Fall. Sehr wohl aber, weil sie die Regierungsbildung bislang nicht hinbekommen hat, um sich erneut zur Kanzlerin wählen zu lassen. Jetzt droht ihr in den nächsten Wochen ein Spießrutenlauf - entweder auf dem langen Weg zu Neuwahlen oder als Kanzlerin mit wechselnden Mehrheiten. Beides ist für Merkel eine Katastrophe. Ihr Ausweg führt nur über die SPD, mit der sie sich in die Große Koalition retten könnte. Auf die Gnade dieser SPD angewiesen zu sein, ist ein ganz schwacher Trost und zeigt Merkels schwierige Lage.
Kommt es zu Neuwahlen, was naheliegend ist, könnte es die etablierten Parteien erneut hart treffen. Allen voran der SPD drohen ganz schwere Zeiten. Sie sitzt in der Klemme. Folgt sie dem Bundespräsidenten - kaum zu glauben - und übernimmt doch noch Verantwortung in einer Großen Koalition, verliert sie den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Bei Neuwahlen droht der Partei der Sturz Richtung 15 Prozent und sogar darunter.
Spätestens dann würde sich die Frage nach dem Personal an der Spitze der Sozialdemokraten stellen müssen. Martin Schulz macht weiter keine gute Figur. Auch gestern verstrickte er sich erneut in Widersprüche, als er den Jamaika-Verhandlern Zeitverschwendung vorhielt und gleichzeitig davon sprach, für mögliche Neuwahlen alle Zeit zur Verfügung zu haben.
Die Uhr tickt auch für Horst Seehofer. Der CSU-Chef ist eine weitere Schlüsselfigur, die ihr politisches Aus fürchten muss. Die Jamaika-Gespräche haben ihm eher weiter geschadet als geholfen.
Wie geht es weiter in Deutschland? Vom Abbau des Solidaritätszuschlags oder einem schrittweisen Familiennachzug für Flüchtlinge hängt nicht die Zukunft der Bundesrepublik ab. Viel wichtiger ist, wie die Politik wieder neues Vertrauen gewinnt, ob sie dem grassierenden Populismus etwas entgegenzusetzen hat und wie es gelingt, die Menschen in Deutschland wieder zu einen. Darauf muss die Politik Antworten finden.
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