Bielefeld (ots) - Jeden Tag ein Terroranschlag in Afrika, und nur die spektakulärsten Fälle schaffen es in die »Tagesschau«: Diese alte Faustregel unter Afrika-Korrespondenten ist längst überholt. 2016 starben 4781 Menschen bei 1465 Terrorschlägen auf dem schwarzen Kontinent. In Ägypten kamen jetzt an einem Tag fast so viele Zivilisten ums Leben, wie das Jahr Tage hat. Die jüngste Terrorattacke vermutlich durch den IS auf das Freitagsgebet in einer Moschee auf dem Sinai war der mit Abstand schwerste Anschlag in der jüngeren Geschichte des Landes. Er ist nur einer von bald 1500 seit 2012. Was ist los in dem 95-Millionen Einwohner-Land, das an Libyen, Sudan, Israel, Gaza und das Mittelmeer grenzt? Machthaber Abdel Fattah al-Sisi weiß es nicht. Aus Hilflosigkeit ließ er am Wochenende Wüstendörfer von Kampfflugzeugen beschießen und verbreitete Archivbilder von martialischen Kampfhubschraubern aus der jüngsten US-Lieferung. Eine echte Strategie gegen den Kontrollverlust hat der Militärdiktator nicht. Im Gegenteil: Sein Geheimdienst war vorgewarnt, als 30 IS-Milizionäre in Kampfanzügen mit einer Kolonne aus Geländewagen in Bir al Abd vorfuhren. Sie schickten einen Selbstmordattentäter in die Moschee, dann feuerten sie ausgiebig auf die Fliehenden und rückten wieder ab. Ägyptens riesiger Sicherheitsapparat stand schon im Oktober bis auf die Knochen blamiert da. Eine bislang unbekannte Gruppe namens Ansar al Islam griff südwestlich der Hauptstadt Kairo gezielt eine Anti-Terroreinheit des Innenministeriums an. Dabei starben 16 Spezialkräfte. Nebenbei: Den Journalisten ist es bei Strafe verboten, andere Opferzahlen zu verbreiten als die offiziellen. Der jüngste Anschlag auf dem notorisch unsicheren Sinai richtete sich nicht gegen die schwer geprüfte christliche Minderheit der Kopten oder Vertreter des Regimes. Erstmals ging es gegen eine besondere Strömung des sunnitischen Islam. Die Sufi - auch Derwische genannt - vertreten eine mystische, friedliche und hochgelehrte Interpretation des Koran. Auch das zeigt, dass die in Syrien unter massivstem Druck stehenden Steinzeit-Islamisten neue Ziele suchen. Mit dem Ende des Kalifats im Nahen Osten muss Afrika noch viel mehr auf der Hut sein als Europa. Möglicherweise werden wir bald das einst blühende Land am Nil wie Libyen zu den zerfallenden Staaten Afrikas rechnen. Denn nicht allein im militärischen Sperrgebiet Nordsinai bilden sich militante Paralellstrukturen, in denen kriminelle Machenschaften, Menschenschmuggel, Waffenhandel und extremistische Ideologie eine Symbiose eingehen. Das Prädikat Dschihad dient mitunter nur noch zur Rekrutierung von jungen Selbstmordattentätern. Die entscheidenden Terrorpaten bleiben im Hintergrund.
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