Trotz Manipulationsvorwürfen der Opposition hat sich der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan noch vor dem Ende der Auszählung zum Sieger der Präsidentenwahl erklärt. "Die inoffiziellen Ergebnisse stehen fest", sagte Erdogan am Sonntagabend in Istanbul. "Demnach hat unser Volk meiner Person den Auftrag der Präsidentschaft und der Regierung gegeben." Bei der Parlamentswahl hätten die Wähler außerdem dem von seiner AKP geführten Parteienbündnis die absolute Mehrheit im Parlament verschafft.
Nach Auszählung von mehr als 90 Prozent der Stimmen lag Erdogan am Sonntagabend bei 52,88 Prozent, wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu meldete. Damit hätte er die Präsidentschaftswahl bereits in der ersten Runde gewonnen. Das von Erdogans AKP geführte Parteienbündnis könnte zudem nach Anadolu-Teilergebnissen mit deutlich mehr als 340 der 600 Sitze im Parlament rechnen. Die größte Oppositionspartei CHP erhob schwere Manipulationsvorwürfe.
Bei der Präsidentenwahl lag CHP-Kandidat Muharrem Ince Anadolu zufolge mit 30,6 Prozent an zweiter Stelle. Auch die "Plattform für faire Wahlen" aus Wahlbeobachtern der Opposition sah Erdogan nach Auszählung von rund zwei Drittel der Stimmen bei 52,22 Prozent. Ince kam dort auf 30,28 Prozent. CHP-Sprecher Bülent Tezcan zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass Erdogan die absolute Mehrheit noch verfehlen würde und in eine Stichwahl gegen Ince müsse. "Niemand soll sich zu früh freuen, niemand soll zu früh feiern", sagte er am Sonntagabend. "Die Wahlen werden in die zweite Runde gehen."
Mit den Wahlen wurde die Einführung des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems abgeschlossen. Der neue Präsident wird Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Einen Ministerpräsidenten gibt es künftig nicht mehr. Nach Angaben von Anadolu lag die Wahlbeteiligung in der Türkei bei gut 87 Prozent. Wahlbeobachter meldeten Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung am Sonntag. Erdogan sprach dagegen von einem "Fest der Demokratie".
Knapp 60 Millionen Türken waren zur Wahl aufgerufen. Mehr als drei Millionen davon leben im Ausland. Die Einführung des Präsidialsystems ist Erdogans wichtigstes politisches Projekt. Die Opposition hatte die Rückkehr zum parlamentarischen System versprochen. Dafür wäre allerdings eine erneute Verfassungsänderung notwendig gewesen. Die Opposition wollte außerdem den Ausnahmezustand aufheben. Das hat Erdogan für den Fall seiner Wiederwahl inzwischen auch zugesagt.
Bei der Präsidentschaftswahl lagen der inhaftierte Kandidat der pro-kurdischen HDP, Selahattin Demirtas, und Meral Aksener von der national-konservativen Iyi-Partei mit jeweils mehr als sieben Prozent in etwa gleichauf. Zwei weitere Kandidaten spielten keine Rolle.
Die CHP griff am Sonntagabend besonders die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu an, der sie wegen der zunächst sehr hohen Werte für Erdogan auf der Basis von erst wenigen ausgezählten Stimmen "Manipulation" vorwarf. Experten bemängelten, Wahlbeobachter der Opposition würden dadurch bei der Auszählung entmutigt und womöglich frühzeitig nach Hause gehen. Ince forderte Wahlbeobachter dazu auf, bis zum Vorliegen der unterschriebenen Ergebnisprotokolle an den Urnen zu bleiben. "Verlasst die Urnen nicht."
Anadolu ist die einzige offizielle Quelle für Teilergebnisse. CHP-Sprecher Tezcan sagte: "Wir rufen alle unsere Bürger in 81 Provinzen dazu auf, in den Bezirken vor die Wahlkommissionen zu gehen. Haltet Wache bis morgen früh, sowohl vor den Wahlkommissionen in den Bezirken, als auch vor der Wahlkommission in Ankara."
Ince rief die Mitarbeiter der Wahlkommission auf: "Erfüllt Eure Aufgabe richtig, wie es sich gehört. Erfüllt sie, indem Ihr Euch an die Gesetze und die Verfassung haltet. Seid niemandes Marionette. Lasst Euch von niemandem verunsichern. Fürchtet Euch vor niemandem." Er fügte hinzu: "Wir wollen einen fairen Wettkampf. Wir wollen einen korrekten Wettkampf. Und ich will bloß nicht, dass es bei dem Ergebnis, das herauskommt, zu Ausschreitungen kommt."
Ince hatte vor Schließung der Wahllokale auf Twitter geschrieben: "Was sie auch tun, sie werden verlieren. Die Zeiten, in denen mit Betrug und Schwindeleien Wahlen gewonnen wurden, sind nun vorbei. (...) Ich werde Eure Stimmen mit meinem Leben verteidigen, wir werden es schaffen." Erdogan unterstrich nach der Abgabe seiner Stimme in Istanbul die Bedeutung der Wahlen. "Im Moment durchlebt die Türkei mit dieser Wahl regelrecht eine demokratische Revolution", sagte er.
Die Auslandsstimmen - bei denen Erdogan besonders bei der größten Gruppe in Deutschland generell auf ein besseres Ergebnis als in der Türkei kommt - waren am Abend erst zu einem geringen Teil ausgezählt. In Deutschland lag Erdogan nach Auszählung von mehr als 13 Prozent der Stimmen bei 65,47 Prozent, Ince kam auf 22,26 Prozent.
Drei Deutsche, die auf Einladung der pro-kurdischen Oppositionspartei HDP die Wahl beobachten wollten, wurden bei der Wahl festgenommen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurden die beiden Männer aus Köln und die Frau aus Halle in Sachsen-Anhalt in Uludere in der südosttürkischen Provinz Sirnak von der Polizei festgenommen. Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte die Festnahme.
Wahlbeobachter meldeten besonders aus dem Südosten der Türkei Unregelmäßigkeiten. Bei Auseinandersetzungen während der Wahlen wurden ein Oppositionspolitiker getötet. Dabei handele es sich um den Bezirksvorsteher der national-konservativen Iyi-Partei in der osttürkischen Provinz Erzurum, wie die Oppositionspartei mitteilte. Die Nachrichtenagentur DHA sprach von einer weiteren getöteten Person. Es habe sich um eine Fehde zwischen zwei Familien gehandelt./cy/lsy/jam/DP/zb
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