Regensburg (ots) - In der "guten, alten Zeit" war alles viel komplizierter. Noch bis 1893 hatte jeder Ort in Deutschland seine eigene Zeit. Die Ortszeit eben, die zumeist von der Kirchturmuhr angezeigt wurde. War es in Berlin 12.27 Uhr, zeigten die Uhren in München erst 12.20 Uhr und in Düsseldorf war es erst zwölf Uhr Mittag. Während Reichskanzler Otto von Bismarck den Flickenteppich deutscher Kleinstaaten bereits 1871 im Deutschen Reich vereint hatte, galt das System der Ortszeiten noch zwei Jahrzehnte fort. Dieser Zeit-Wirrwarr behinderte den Handel, die einsetzende Industrialisierung und vor allem den Bahnverkehr enorm. Noch um das Jahr 1891 existierten im Reich "nur" fünf verschiedene "Eisenbahnzeiten". Der Wunsch nach maximaler Produktivität und Effizienz stieß an die nach wie vor bestehende kleinstaaterische Zeitregelung. Erst am 1. April 1893 trat ein von Kaiser Wilhelm II. unterzeichnetes Gesetz in Kraft, mit dem die "mittlere Sonnenzeit des fünfzehnten Längengrades östlich von Greenwich" im gesamten Deutschen Reich zur einzig gültigen Uhrzeit bestimmt wurde. Und weil der 15. Meridian durch Görlitz verläuft, gab die ostsächsische Stadt der mitteleuropäischen Zeitzone auch ihren Namen. Die derzeitige heftige Debatte um Sommerzeit ja oder nein schrumpft beim Rückblick in die Geschichte auf ein händelbares Normalmaß ein. Die Festlegung der jeweils geltenden "amtlichen Zeit" war auch im vorigen Jahrhundert jedes Mal mit politischen und wirtschaftlichen Absichten verbunden. Im Ersten Weltkrieg wurde die Zeitumstellung eingeführt, um das kostenlose Tageslicht besser für die industrialisierte Kriegsführung nutzen zu können. Im Zweiten Weltkrieg führte Hitler die Sommerzeit wieder ein, um der Rüstungsproduktion bessere Produktionsbedingungen zu verschaffen. Die Einführung der Sommerzeit 1980 - diesmal in Friedenszeiten, aber im Kalten Krieg zwischen Ost und West - folgte der Absicht, viel Energie und damit Geld einzusparen, weil es abends ja länger hell sei. Diese Hoffnung freilich hat sich in Luft aufgelöst. Ein nennenswerter Effekt bei der Stromeinsparung war in den vergangenen 38 Jahren mit Sommerzeit nicht nachweisbar. Freilich genießen natürlich viele Menschen die Annehmlichkeiten des "verlängerten" Tages mit Helligkeit bis in die Abendstunden, im Biergarten, auf dem Campingplatz oder sonst wo. Auf der anderen Seiten klagen jedoch sehr viele Menschen über den "Mini-Jetlag", Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Herzrhythmusstörungen im Zuge des Wechsels von Sommer- und Winterzeit. So alt wie das derzeitige System der Zeitumstellung im Frühjahr und Herbst ist auch der Streit um dessen Sinnhaftigkeit. Die EU-Kommission in Brüssel rührte jahrelang gar nicht an dieser berechtigten Frage. Gleichwohl fand das Unbehagen vieler Europäer an der nervigen Umstellung auch im EU-Parlament immer mehr Anhänger. Vor wenigen Monaten erst forderte eine Mehrheit des Parlaments die Kommission auf zu prüfen, wie es mit der Zeitumstellung weitergehen solle. Die Mühlen in Europa mahlen allerdings extrem langsam. Gewissermaßen zuständig für die Zeit in der EU ist Verkehrskommissarin Violeta Bulc. Die Slowenin hatte bereits versucht, die deutsche Pkw-Maut zu Fall zu bringen. Mit dem starken Ergebnis der Online-Umfrage mit 80 Prozent Ablehnung der Zeitumstellung sollte sie für die EU-Kommission nun allerdings rasch einen Vorschlag zur Beendigung des Drehens an der Uhr auf den Weg bringen. Klar, eine solche Umfrage ist keine Entscheidung, aber sie ist ein deutlicher Fingerzeig dafür, dass die halbjährliche Zeitumstellung von einer überwältigenden Mehrheit der Menschen, vor allem von den als so überaus pünktlich geltenden Deutschen, nicht gewollt wird. Die sinnlose Uhrendreherei könnte noch vor der Europawahl im nächsten Jahr beendet werden. Es ist noch genug Zeit dazu. Und wenn es nach der Mehrheit der Befragten geht, dann sollte Sommerzeit gelten - das ganze Jahr über.
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