Regensburg (ots) - Man reibt sich die Augen. Sämtliche Brexitbeobachter hatten als größte Hürde für einen geordneten Ausstieg Britanniens aus der EU die Abstimmung im britischen Unterhaus angesehen. Nun zeigt sich, dass noch von ganz anderer Seite Hindernisse aufgetürmt werden. Spanien stellt sich quer, weil es seine Interessen in Gibraltar nicht angemessen berücksichtigt findet. Der "Affenfelsen" an der Südspitze der iberischen Halbinsel ist einer größeren Öffentlichkeit allenfalls als touristisches Kuriosum bekannt, wo in andalusischer Landschaft rote Telefonhäuschen stehen. In EU-Verträgen allerdings gehört die von Spanien durchgesetzte Fußnote, dass der Status des Territoriums als britisches Hoheitsgebiet nicht für alle Zeiten festgeschrieben werden dürfe, zum festen Repertoire. Zwar hat die britische Krone dort seit 1704 das Sagen. 1713 verzichtete der spanische Staat im Frieden von Utrecht auf das Gebiet. Doch der Stachel scheint auch nach über drei Jahrhunderten unverändert zu schmerzen. Wer einen Hinweis auf die 6,5 Quadratmeter große Enklave im Entwurf des Rückzugsvertrags zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sucht, wird schon in Artikel drei fündig. Er legt fest, dass alle Übergangsvereinbarungen auch für Gibraltar gelten. Doch auch die entsprechende Fußnote fehlt nicht. Sie verweist auf das de-facto-Vetorecht, das sich Madrid schon im April 2017 von den anderen 26 in der EU verbleibenden Mitgliedsstaaten hat zusichern lassen. Es besagt, dass jeder künftige Partnerschaftsvertrag nur dann auf Gibraltar angewendet werden darf, wenn Spanien und Großbritannien dem ausdrücklich zustimmen. Querverweise, Fußnoten und Zusatzprotokolle sind im europäischen Geschäft eine sehr übliche Methode, um schwelende Konflikte zu vertagen. Die Suche nach der letztgültigen Vereinbarung gleicht, wie auch im aktuellen Fall, häufig einer juristischen Schnitzeljagd. Das eröffnet Politikern die Möglichkeit, ein Thema je nach taktischen Erwägungen ruhen zu lassen oder wieder aus dem Hut zu ziehen. Die Regierung unter Pedro Sanchez hat sich vermutlich mit Blick auf die Regionalwahlen in Andalusien Anfang Dezember für Letzteres entschieden. Es ist aber wenig wahrscheinlich, dass Sanchez die Nerven hat, am Sonntag sowohl Chefunterhändler Michel Barnier als auch der geschlossenen Front aller anderen EU-Staaten inklusive Großbritannien die Stirn zu bieten. Dann wäre er der Mann, der einen geordneten Austritt verhindert hat und das prognostizierte Chaos für Unternehmen, Beschäftigte und in Spanien ihren Lebensabend verbringende Briten zu verantworten hätte. Sein demonstratives Eintreten für spanische Belange wird den zunächst als Stippvisite eingestuften Brüsselgipfel vielleicht in die Länge ziehen. Platzen wird er deshalb kaum. Möglicherweise hat das in Brüssel aufgeführte Drama positiven Einfluss auf die Vorgänge in London. Je größer nämlich die Gefahr wird, dass Großbritannien ohne Übergangsvertrag aus der EU rutscht, desto leisere Töne spucken die Brexitbefürworter im Parlament. Vielen scheint jetzt erst zu dämmern, was ein harter Brexit für die britische Wirtschaft, für die Versorgung mit zahlreichen Importgütern wie Medikamenten und für Reisen auf dem Kontinent bedeutet. Sogar die Aussicht, über die eigene Landesverteidigung und die innere Sicherheit endlich wieder souverän bestimmen zu können, scheint bei näherer Betrachtung an Strahlkraft zu verlieren. Ausgerechnet Großbritannien, das sowohl beim Informationsaustausch der Geheimdienste als auch bei Verteidigungsfragen seine transatlantischen Bindungen stets höher einschätzte als die Mitgliedschaft in der EU, hat in die Erklärung über die zukünftige Zusammenarbeit hineinschreiben lassen, dass in beiden Bereichen auch nach dem Austritt eng kooperiert werden soll. Vielleicht erwächst aus dem Brexitdrama am Ende sogar eine richtig nette neue Nachbarschaft.
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