Regensburg (ots) - Man kennt die Situation aus Familien. Die Kinder gehorchen nicht. Die Eltern haben die Wahl, ein Auge zu zu drücken oder den Kindern die eigenen Vorstellungen mit Autorität und Strafen aufzwingen zu wollen. Auch die EU trägt Züge einer Familie, die es gerade mit einem besonders widerspenstigen Heranwachsenden zu tun hat. Wie ein pubertierender Rebell beharrt die italienische Regierung in Rom auf ihren expansiven Haushaltsplänen. Wie könnte unter diesen widrigen Umständen eine verantwortungsvolle Politik der Erziehungsberechtigten, in diesem Fall der EU-Staaten gegenüber Rom aussehen? Die Lage ist kompliziert. Denn die Regierung aus der Antisystem-Partei Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega scheint gewillt, den Konflikt auf die Spitze zu treiben. Die Koalitionschefs Luigi Di Maio und Matteo Salvini spotten sogar über Brüssel. In den Haushaltsplanungen für das kommende Jahr sieht die Populisten-Regierung eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) vor. Weil Italien einen Schuldenberg von 2,3 Billionen Euro mit sich herumschleppt, bezeichnet Brüssel diese Verschuldungspolitik als unverantwortlich. Laut Wachstums- und Stabilitätspakt sind drei Prozent Neuverschuldung gestattet. Doch weil die Finanzkrise von 2008 die Verletzlichkeit hochverschuldeter Staaten offen legte, ist die Sanierung der Staatskonten umso dringender geworden. Aus diesem Grund hatte die Vorgängerregierung, die im Frühjahr abtreten musste, eine Neuverschuldung von nur 0,8 Prozent versprochen. Dabei durfte sie sich selbst in den Vorjahren in derselben Größenordnung verschulden wie nun die Populisten. Natürlich führt letztlich kein Weg an einer Reduzierung der Schulden vorbei. Und natürlich handelt die Populisten-Regierung in Rom unverantwortlich, indem sie den Konflikt immer weiter befeuert. Doch es zeugt ebenso wenig von Verantwortungsbewusstsein, auf dem Recht des Stärkeren zu beharren und die Folgen dieser Haltung zu ignorieren. Denn die Koalition will zwar ihre Wahlversprechen wie die Einführung eines Grundeinkommens für Arbeitslose oder die Reduzierung des Renteneintrittsalters mit dem Haushalt für 2019 einlösen. Vor allem aber geht es ihr im Budgetstreit um Machtinteressen. Ihr Kalkül ist es, die schon schwer angeschlagene Reputation der EU in Italien weiter zu beschädigen. Das bereits in der Vergangenheit gestrickte Narrativ von den erbarmungslosen EU-Bürokraten, die durch eiserne Sparvorschriften letztlich für den unbefriedigenden Status Quo in Italien verantwortlich seien, wird von Salvini und Di Maio fortgesponnen. Die EU-Kommission empfiehlt die Einleitung eines Strafverfahrens und sichert sich damit den Schwarzen Peter in Italien. 60 Prozent der italienischen Wähler unterstützen Umfragen zufolge die Pläne der Regierung. Sie würden letztlich bestraft, wenn die Mitgliedsstaaten im Januar tatsächlich ein Defizitverfahren einleiten sollten. Das ist das Szenario, das die beiden De-Facto-Regierungschefs in Rom im Hinterkopf haben. Politisches Kapital dürften sie aus dieser Dynamik bei den Europawahlen im Mai schlagen. Spitzt sich der Konflikt bis dahin weiter zu, bekommen die Populisten noch mehr Rückenwind und mehr Einfluss, auch in den Institutionen der EU. Dies ist die Falle, in die die EU derzeit tappt. Es bedarf deshalb eines mutigen Kraftaktes. Die Institutionen der EU müssen Rom jetzt finanziellen Spielraum lassen im Gegenzug für echte strukturelle Reformen in den kommenden Jahren. Die Populisten-Regierung könnte so bei den eigenen Wählern ihr Gesicht wahren und die Wahlversprechen zumindest auf dem Papier einlösen. Denn Grundeinkommen und Steuersenkungen lindern vielleicht vorübergehenden Frust, effizienter machen sie Italien nicht. Die Regierung in Rom ist gerade sechs Monate im Amt, die Spannungen in der Koalition sind enorm. Jeder Tag, der vergeht, bringt Italien einen weiteren Schritt weg vom Honigmond mit der Regierung hin zur Realität. Nur auf diese Weise kann Brüssel Punkte sammeln, die haltlosen Floskeln und leeren Versprechen der Populisten fliegen auf.
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