IG-Metall-Vorstand Hans-Jürgen Urban kann die Proteste in Frankreich nachvollziehen. "Der Kern der Gelbwesten-Bewegung ist eine durchaus verständliche Rebellion gegen die neoliberalen Zumutungen der letzten Jahre", sagte Urban der "Frankfurter Rundschau" (Freitagausgabe).
Er rate dazu, die Bewegung auch in den anderen europäischen Ländern als Warnsignal zu verstehen. Für die Wut in der Bevölkerung sehe er zwei zentrale Ursachen, so Urban weiter: den Sozialabbau sowie die Transformation von Arbeit, Kultur und Politik, die die kapitalistischen Gesellschaften gegenwärtig durchlebten. "Statt mit sozialen Strukturreformen darauf zu reagieren, wurschtelt die Politik sich durch", kritisierte der Gewerkschafter. Mehr Verteilungsgerechtigkeit alleine reiche aber nicht, sagte Urban der "Frankfurter Rundschau".
"Notwendig ist die Erneuerung des sozialstaatlichen Sicherungsversprechens." Dazu brauche es institutionelle Reformen, die den Sozialschutz auf eine neue Grundlage stellten. "Das heißt in Deutschland etwa: Erweiterung der Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung und in der Gesundheitspolitik: her mit der solidarischen Bürgerversicherung." Mit Blick auf die Europawahlen in wenigen Monaten empfahl Urban der Politik, "die Sozialunion als nächstes Großprojekt der europäischen Entwicklung auszurufen".
Diese müsse die nationalen Sozialstaaten stärken und soziale Mindeststandards auf der EU-Ebene setzen. "Eine Aufbruchspolitik in der Europäischen Union, die ihren Beitrag leistet, den Menschen die Unsicherheit zu nehmen und sie mit Europa zu versöhnen, ist die einzige Chance", appellierte Urban.