Regensburg (ots) - Und so kam es, wie es kommen musste. Premierministerin Theresa May strich eine historische Niederlage ein. Zweieinhalb Jahre nach dem Brexit-Referendum und 73 Tage, bevor das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union austreten soll, stimmte das britische Unterhaus über den von May verhandelten Austrittsvertrag ab und hat ihn abgelehnt. Das mit Abstand wichtigste Gesetzesprojekt in Mays Amtszeit ist gescheitert. Sollte in der verbleibenden und täglich kürzer werdenden Frist bis zum 29. März keine anderweitige Lösung gefunden werden, steuert Großbritannien auf den Klippen-Brexit, auf das No-Deal-Szenario, auf den ungeregelten und daher mit allen möglichen chaotischen Konsequenzen verbundenen Austritt zu. Das Tragische an der ganzen Sache ist, dass dieser Ausgang ebenso vorhersagbar wie vermeidbar und daher nicht notwendig war. Theresa May muss dafür die Verantwortung übernehmen. Nach dem Ausgang des Brexit-Referendums im Juni 2016 war klar, dass ein Riss durch alle Parteien ging, dass es in keiner einzigen Partei eine klare Mehrheit für die Richtung gab, die Großbritannien einschlagen sollte. Aber May hat den Brexit von Anfang an als eine rein interne Angelegenheit für die Konservative Partei behandelt. Es gab Avancen von Labour-Abgeordneten zur Zusammenarbeit, aber die Premierministerin war der irrigen Ansicht, dass sie innerhalb ihrer zerstrittenen Partei einen konsensfähigen Weg finden würde. Das stand von Anfang unter einem schlechten Stern. Statt die Hand auszustrecken und zu versuchen, die politische Kluft zu Labour zu überbrücken, hat die Premierministerin aktiv gegen eine Mitarbeit des Parlaments gearbeitet und ging bis vor den Obersten Gerichtshof, um zu verhindern, dass Volksvertreter ein Mitspracherecht bei der Gestaltung des Brexit haben. Zum Glück unterlag sie. Ein weiterer Fehler vom May war es, die Verhandlungen als Geheimsache zu behandeln und nur ihren engsten Vertrauten Einblick in ihre Pläne zu geben. Schließlich hatte ihre Bereitschaft, den rechten Flügel ihrer Partei zu bedienen und auch noch den kompromisslosesten Brexit-Ultras entgegenzukommen, Porzellan bei den moderaten Kräften zerschlagen und das Vertrauen in sie als ehrliche Vermittlerin zerstört. Und am schlimmsten war wohl, dass sie so viel Zeit verschwendet hat. Nur etwas mehr als 50 Sitzungstage hat das Unterhaus bis zum 29. März jetzt noch - wie soll da ein Ausweg aus dem Schlamassel gefunden werden? Eine Verlängerung nach Artikel 50 wäre möglich, und die EU hat diesbezüglich Bereitschaft signalisiert, aber Theresa May beharrt stur und starr darauf, dass Großbritannien am 29. März den Austritt vollzieht. Das verstärkt das Misstrauen und lässt Abgeordnete aller Parteien denken, dass die Premierministerin weiterhin auf Zeit spielen wird, um einen Brexit auf jeden Fall zu erzwingen. Nach dem Motto: Wenn schon nicht nach meinem Deal, dann halt ohne Deal. Es ist kein Wunder, dass in dieser Situation Parlamentarier, auch in Mays eigener Regierungsfraktion, bereit sind, die Reißleine zu ziehen. Es gibt Überlegungen zu einem, wie es die "Sunday Times" nannte, "sehr britischen Coup". Labour-Abgeordnete wollen sich mit Torys und Liberaldemokraten zusammentun, um die Geschäftsordnung des Parlaments zu ändern. Das Primat der Regierung, Gesetze einzubringen, würde abgeschafft. Stattdessen könnten Hinterbänkler die Tagesordnung kontrollieren und selbst Gesetze einbringen, womit ein Weg gefunden wäre, einen No Deal zu verhindern und womöglich ein zweites Referendum auf den Weg zu bringen. Es wäre ein verzweifelter Schritt. Aber man lebt in verzweifelten Zeiten. Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass man es nicht versuchen sollte.
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