Regensburg (ots) - Es ist knapp 20 Jahre her, dass in den USA das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Priester erkennbar wurde. Der Hollywood-Film Spotlight schildert auf atemberaubende Weise, wie ein Team aus Journalisten des Boston Globe die systematische Vertuschung in der Erzdiözese Boston aufdeckte. In dem sehenswerten Streifen wird auch deutlich, dass sich zur schweren Schuld der Täter und der Vertuschenden immer auch eine den Rest der Gesellschaft betreffende Frage gesellt. Wie viel hätten wir wissen können, wenn wir genau hingesehen hätten? Auch Eltern missbrauchter Kinder fühlen sich schuldig, weil sie sich vorwerfen, ihre Kinder nicht genügend geschützt zu haben. Bei der Debatte, die nun auch die Führungsebene der katholischen Kirche erfasst hat, sollte man diesen kollektiven Aspekt nicht übersehen. Und es wäre wünschenswert, wenn die Aufarbeitung von Missbrauch durch den Klerus ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für das Thema anstößt. Missbrauch findet nicht nur in der Kirche, sondern überall statt. Meist stehen die Täter den Opfern näher als vermutet. Damit werden die in der katholischen Kirche begangenen Verbrechen nicht relativiert. Hier ist der Kontrast besonders eklatant. Wer verspricht, sich um das Heil der Seelen zu kümmern und diese Seelen dann lebenslang schädigt, hat besonders schwere Schuld auf sich geladen. Es ist zutreffend, wenn Kirchenvertreter behaupten, die Kinderschutz-Konferenz im Vatikan sei erst der Anfang eines langen Prozesses. Für Betroffene, die seit Jahrzehnten darauf warten, dass die Institution Kirche für die Taten ihrer Mitglieder Verantwortung übernimmt, muss das wie Hohn klingen. Deshalb lautet das Gebot der Stunde für die Kirche: Täter und Vorgesetzte, die diesen Missbrauch decken, sind nicht nur Straftäter, sondern auch für ihr Amt ungeeignet und müssen aus dem Priesterstand entlassen werden. Die katholische Kirche ist da bis heute nicht konsequent. Immer wieder wurden Bischöfe, die Täter gedeckt haben, unter Vorwänden in den Ruhestand versetzt. Hier kann man ablesen, wie weit das Bewusstsein bei der Führungsebene im Vatikan gereift ist oder noch zu wünschen übrig lässt. Papst Franziskus selbst durchläuft gerade einen Bewusstseinswandel, man kann die Entwicklung förmlich beobachten. Als Erzbischof von Buenos Aires ignorierte er Hilfegesuche von Betroffenen. Noch vor einem Jahr stellte er sich in Chile hinter zwei Bischöfe, die Missbrauchstäter deckten. Als der Druck der Öffentlichkeit zu groß wurde, ließ er in Chile ermitteln, änderte seine Meinung und bat um Verzeihung. Erst nachdem im Sommer eine Ermittlungsjury das Ausmaß des Missbrauchs im US-Bundesstaat Pennsylvania aufdeckte, setzte Franziskus die jetzige, für das große Thema extrem kurze Konferenz an. In der Kürze liegt diesmal nicht die Würze, es steckt Kalkül dahinter, das Thema in nur drei Tagen anzureißen. Denn die katholische Kirche steckt in einer Identitätskrise, deren Züge schemenhaft sichtbar werden. Verbrächten die Bischöfe mehr Zeit mit dem Thema, würden drängende Fragen an die Oberfläche gespült, die angesichts des bereits angespannten Klimas im Klerus einer Zerreißprobe gleichkämen. Können Bischöfe nur von ihresgleichen überwacht werden, oder ist in der Missbrauchsthematik eine Kontrolle durch übergeordnete Gremien notwendig? Bislang ist allein der Papst für die 5100 Bischöfe zuständig. Wie viele Aufgaben können an Laien und insbesondere an Frauen abgegeben werden? Ist die Aufhebung des Pflichtzölibats sinnvoll? Wie viel Macht ist die Kirche bereit, abzugeben? Diese Fragen rühren an die Identität des Katholischen. Deshalb werden sie bislang nicht offen diskutiert.
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