Regensburg (ots) - Die Europäische Union steht heuer wahrscheinlich vor der größten Zerreißprobe ihrer Geschichte. Die Bindekräfte der Staatengemeinschaft scheinen nachzulassen und die Fliehkräfte sind enorm, nicht nur wegen des Brexits der europamüden, aber völlig kopflosen Briten. In Ungarn, Polen, Frankreich, Italien bis in die Niederlande, Schweden oder Finnland kratzen rechtspopulistische EU-Kritiker am Fundament der Union. Die Europa-Wahl im Mai wird zu einer Schicksalswahl. Wird die EU künftig von einem Parlament getragen, das die Union voranbringen, modernisieren will, oder triumphieren jene, die sie zerstören wollen? Erfreulicherweise füllt sich das Lager der Befürworter der EU. Zumindest unter den deutschen Parteien. Ohne die erkrankte Europa-Fundamentalkritikerin Sahra Wagenknecht hat sich auch die Linke am Wochenende in Bonn klar zur Union bekannt. Linken-Übervater Gregor Gysi redete seinen Genossen noch einmal ins Gewissen, weil die Linke die EU bislang ziemlich dämonisiert hatte, sie immer wieder als unsozial, undemokratisch, ökologisch nicht nachhaltig und sogar militaristisch brandmarkte. Zumindest bei diesem Anti-EU-Vokabular soll es nicht bleiben. Zugleich tritt die Linkspartei mit zwei weithin unbekannten, aber immerhin noch recht jungen Spitzenkandidaten an. Der Spruch: Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa, gilt nicht mehr. Gysi ermahnte in Bonn eindringlich, die Linke müsse eine positive Vision von Europa bieten. Man hätte sich andernfalls auch - ungewollt - an der Seite der AfD wiedergefunden. Die deutschen Rechtspopulisten bringen sogar das Kunststück fertig, einerseits die EU rundweg abzulehnen und auflösen zu wollen, aber auf der anderen Seite dennoch für das Parlament zu kandidieren. Im bisherigen Straßburger Parlament sitzt übrigens noch der AfD-Gründer, Hamburger Wirtschaftsprofessor und Euro-Kritiker Bernd Lucke. Doch mit der jetzigen Partei hat der nichts mehr zu schaffen. Die Brisanz der anstehenden Europa-Wahl steht allerdings im Gegensatz zu der recht lauen Stimmung im Land. Das Warmlaufen für den Wahlkampf hat noch nicht so richtig begonnen. Und die richtige Leidenschaft für Europa ist ebenfalls noch nicht zu verspüren. Und das hat weniger damit zu tun, dass noch ein Vierteljahr Zeit ist bis zum wichtigen Urnengang, sondern mit anderen Defiziten. So kann sich die CSU zwar auf die Schulter klopfen, dass mit dem Spitzenkandidaten Manfred Weber erstmals einer von den Christsozialen für die Parteienfamilie ganz vorne steht. Der CSU-Mann kämpft, tingelt durch die Mitgliedsländer. Doch immer wieder wird der EVP-Spitzenmann von ungeklärten Verhältnissen eingeholt. Einen klaren Schnitt, etwa den Rauswurf der ungarischen Fidesz des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orban aus der Parteienfamilie EVP, unternimmt auch Weber nicht. CDU und CSU verhalten sich gegenüber Orban, der die Wahl zu einer "finalen Schlacht" erklärt hatte, wie die Großfamilie gegenüber dem missratenen Onkel. Man mag ihn nicht, teilt nicht seine Ansichten, doch von der Familienfeier wird er nicht ausgeschlossen. Mit Orban macht sich Weber im Wahlkampf angreifbar. Mit dem Spitzenmann der europäischen Sozialdemokratie, dem Niederländer Frans Timmermans, wird Weber indes nicht einen solch fast schon harmonischen Wahlkampf führen, wie Jean-Claude Juncker und Martin Schulz. Der glühende Europäer Schulz holte vor fünf Jahren immerhin 27 Prozent der Stimmen. Mit dem ziemlich unbekannten Timmermans und der blassen SPD-Spitzenkandidatin und Justizministerin Katarina Barley scheint ein solches Ergebnis im Mai illusorisch. Doch eine schwache Sozialdemokratie wäre nicht gut für Europa.
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