Die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) des spanischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez hat die Parlamentswahl mit großem Vorsprung gewonnen. Jedoch gibt es für die Sozialisten vorerst nur wenig Grund zum Jubel: Nach Auszählung von rund 80 Prozent der Stimmen verpasste die PSOE mit etwa 29,1 Prozent die absolute Mehrheit deutlich. Sánchez stehen äußerst schwierige und vermutlich lange Koalitionsgespräche mit linken und regionalen Parteien bevor - es droht erneut eine komplizierte politische Patt-Situation. Darüber hinaus zieht erstmals seit Jahrzehnten eine rechtspopulistische Partei ins Parlament ein.
Die konservative Volkspartei PP folgt den Prognosen zufolge auf Platz zwei mit 16,7 Prozent - und halbiert ihr Ergebnis von der letzten Wahl damit fast. Gefolgt wird sie von den liberalen Ciudadanos (15,5), der Linkspartei Unidas Podemos (14,3 Prozent) und der erst 2013 gegründeten rechtspopulistischen Partei Vox, die mit 10,2 Prozent erstmals ins Madrider Nationalparlament einzieht. Sie wird von vielen Medien auch als rechtsextrem eingestuft. Mit dem amtlichen vorläufigen Endergebnissen wurde gegen Mitternacht gerechnet.
Mit diesen Zahlen würden die möglichen Koalitionspartner PSOE und Podemos zusammen im günstigsten Fall auf 165 Abgeordnete kommen. Damit würden ihnen zur absoluten Mehrheit elf Sitze fehlen. Sánchez wird sich somit nicht nur mit Unidas Podemos einig werden, sondern auch mit vielen kleineren linken und nationalistischen Regionalparteien in schwierige Gespräche treten müssen. Bei den Parteien des rechten Spektrums (PP, Ciudadanos und Vox) fehlten mindestens 30 Sitze zur Bildung einer regierungsfähigen Koalition.
Am Sonntag wurde eine der höchsten Wahlbeteiligungen in der Geschichte der spanischen Demokratie registriert. Nach Angaben des Madrider Innenministeriums gaben rund 75 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Das waren fast neun Prozentpunkte mehr als bei der letzten Wahl im Juni 2016. Medien sprachen von einer "historischen Wahlbeteiligung", die dem Rekord von 1982 (knapp 80 Prozent) - einem Jahr nach dem Putschversuch - sehr nahe kam.
Jahrelange politische Instabilität und wachsende Sorgen um die Zukunft trieben die Spanier offenbar trotz sonnigen Ausflugswetters in Massen in die Wahllokale. "Die Situation in unserem Land ist so besorgniserregend wie lange nicht mehr, heute darf niemand der Wahl fernbleiben", sagte Rentner Orlando, der "die 80 schon vor langer Zeit gefeiert" hat, nach der Stimmabgabe in Madrid der Deutschen Presse-Agentur. Die Ehefrau des früheren Griechisch-Professors, Cándida, drückt es noch deutlicher aus: "Spanien steht vor dem Zusammenbruch."
Vielerorts bildeten sich lange Schlangen. Gerade auch ältere Menschen strömten in die etwa 23 000 Wahllokale - wie die 100 Jahre alte Rafaela Mira Carratalá in Alicante. Sie sei am Sonntagmorgen zu Hause zwei Mal gestürzt, und dennoch habe sie nie in Erwägung gezogen, ihre Stimme nicht abzugeben, betonte sie vor Journalisten: "Ich habe alles erlebt, Republik, Bürgerkrieg (1936-1939), habe meinen Mann im Gefängnis besucht und unter der Diktatur (bis 1975) gelitten. Daher stimme ich seit der Rückkehr der Demokratie immer ab. Für ein besseres Leben, für den Frieden."
Politiker verschiedener Parteien, darunter Oppositionsführer Pablo Casado, sprachen von der "wichtigsten Wahl, an die man sich erinnern kann". Denn die Liste der Probleme ist lang, allen voran: Der Konflikt in Katalonien, drohender politischer Stillstand, erste Anzeichen einer Konjunkturabschwächung bei anhaltend hoher Arbeitslosigkeit sowie die zunehmende Migration.
Es war bereits die dritte Parlamentswahl innerhalb von nur dreieinhalb Jahren. Knapp 37 Millionen Bürger waren zu den Wahlurnen aufgerufen. Umfragen in den vergangenen Tagen hatten bereits gezeigt, dass vermutlich keine regierungsfähige Koalition zustande kommen würde. Dabei lag Sánchez' PSOE stets vorne, jedoch wurde sie trotzdem als möglicher Verlierer der Wahl gehandelt.
Die Abstimmung verlief spanischen Medienberichten zufolge ohne Probleme. 92 000 Polizisten sorgten für die Sicherheit.
Bereits 2016 hatte es in Spanien eine politische Blockade gegeben. Damals war das Land trotz zwei Wahlgängen innerhalb von sechs Monaten fast ein Jahr lang ohne reguläre Regierung geblieben. Auslöser für die Patt-Situation war das Ende des faktischen Zweiparteiensystems aus PP und PSOE sowie die Verteilung der Stimmen auf neu gegründete Parteien.
Die schwache konservative Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy hielt letztlich nur gut eineinhalb Jahre. Sánchez kam im Sommer 2018 nach einem Misstrauensantrag gegen Rajoy mithilfe kleinerer katalanischer Separatistenparteien an die Macht, seine PSOE hatte aber nur 84 von 350 Abgeordnete im Madrider Congreso de los Diputados.
Nachdem der Regierungschef nicht auf Forderungen der separatistischen Abgeordneten eingegangen war, entzogen diese ihm im Februar bei der Haushaltsdebatte ihre Unterstützung. Daraufhin sah sich Sánchez gezwungen, eine Neuwahl auszurufen. Wenn die Prognosen stimmen, wird aber auch dieses Mal eine Koalition aus PSOE und dem linken Wahlbündnis Unidas Podemos allein nicht für eine Regierungsbildung ausreichen. Sánchez wäre somit auf so umstrittene Unterstützung angewiesen wie jener der katalanischen Separatisten oder der baskischen Nationalisten./er/cfn/DP/mis
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