Regensburg (ots) - Frank Ulrich Montgomery, als wortgewaltiger Interessenvertreter der Medizinergilde ein bekanntes Gesicht in der deutschen Öffentlichkeit, hat Bauschmerzen. Sie rühren vom Urteil des Internationalen Sportgerichtshofes Cas im Fall der südafrikanischen Mittelstreckenläuferin Caster Semenya her. Der Präsident des Weltärztebundes hält den Spruch für grundverkehrt. "Es gibt keinerlei medizinische Indikation. Frau Semenya ist kerngesund!", wettert Montgomery. Er sieht keine Veranlassung, ihre erhöhten Testosteronwerte medikamentös zu senken. "Ärzte, die sich daran beteiligen, handeln unethisch", fällte Montgomery im Interview der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sein eigenes Urteil. In der Tat reibt sich die sportinteressierte Öffentlichkeit verwundert die Augen. Der Griff ins Apothekerschränkchen, sonst als Übel des organisierten Sports verteufelt, soll plötzlich wieder statthaft, ja sogar vorgeschrieben sein? In diesem Fall ja, sagt der Cas. Denn nur so ließen sich die Wettbewerbsnachteile von Frauen in der Konkurrenz mit dem dritten Geschlecht ausgleichen. Montgomery sieht in dieser Praxis "umgekehrtes Doping", zu dem niemand gezwungen werden darf. Freilich: Mit der Einwilligung des betroffenen Athleten handeln Ärzte zumindest nicht im strafrechtlichen Sinne unzulässig. Viele Aspekte des aufsehenerregenden Falls Semenya mögen sehr speziell sein. Doch er wirft ganz grundsätzliche Fragen auf, berührt Persönlichkeitsrechte ebenso wie die Legitimation des Leistungssports. Der Cas hatte eine sportjuristische Gratwanderung zu bewältigen, sein Urteil gleicht einem Balanceakt. Er hat letztlich, wenig verwunderlich, mit einigen argumentativen Verrenkungen das System des Spitzensports gestützt. Jede andere Entscheidung hätte die Axt an das geheiligte Prinzip der Chancengleichheit gelegt. Und wird dieses Ideal erst einmal fundamental in Frage gestellt, ist es nicht mehr weit hin zu jenen Stimmen, die längst für eine generelle Freigabe von Doping und jedweder Leistungsmanipulation plädieren. Es ist übrigens eine Facette der Causa Semenya, dass sie exemplarisch den nach wie vor vorurteilsbehafteten Umgang mit dem dritten Geschlecht beleuchtet. Männlich, weiblich, divers: Die Existenz einer dritten Geschlechtsoption ist als Konsequenz eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts gesetzlich klar geregelt, doch weit davon entfernt, als gesellschaftliche Normalität wahrgenommen zu werden. In der Leichtathletik rückt der Fall Semenya zudem ein Problem in den Fokus, das nunmehr bereits seit Jahrzehnten der Bewältigung harrt. Denn trotz der Dominanz auf ihrer Spezialstrecke und ihrer angeblich ja gewaltigen körperlichen Vorteile hat es die Südafrikanerin nie vermocht, einen Uralt-Weltrekord zu brechen. Jarmila Kratochvílová lief - damals noch für die Tschechoslowakei - am 26. Juli 1983 in München die 800 Meter in sagenhaften 1:53,28 Minuten. Diese Leistung stellt die älteste noch bestehende Freiluftbestmarke der Leichtathletik dar. Caster Semenyas Bestzeit liegt bei 1:54,25 Minuten. Auf Kratochvilovas Fabelweltrekord lastet ein schwerer Verdacht, er datiert aus einer Ära der ungehemmten, weil so gut wie unkontrollierten Doping-Praktiken. Der Leichtathletik-Weltverband IAAF ringt seit Jahren darum, sich dieser Hypothek zu entledigen, zumal sie in der jüngeren und im besten Fall "sauberen" Generation von Sportlerinnen eine frustrierende Wirkung entfaltet. Es wäre höchste Zeit, solche Fantasiezeiten aus den Rekordlisten zu tilgen. In einem zweiten Schritt sollte die IAAF über eigene Wettbewerbe oder zumindest Wertungen für das dritte Geschlecht nachdenken. Das Problem mit Medikamentengaben aus der Welt zu schaffen, wie es der Internationale Sportgerichtshof gebilligt hat, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.
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