Regensburg (ots) - Diesmal haben sich alle zusammengerissen. Es sollte nur um Inhalte gehen, nicht ums Personal. Diesmal wirklich. Die Spitzen von Union und SPD gaben sich bei ihrer Fraktionsklausur am vergangenen Donnerstag und Freitag ebenso wie beim gestrigen Koalitionsausschuss die größte Mühe, nach außen hin den Eindruck zu vermitteln, man konzentriere sich voll und ganz auf die Sacharbeit: unter anderem den Mobilfunk, die Pflege, die Wirtschaft und den Bundeshaushalt knöpfte man sich vor. In den Wochen seit den herben, historischen Niederlagen bei der Europawahl und dem Rücktritt von Andrea Nahles hatten die Koalitionsparteien mehr Energie für die Arbeit an sich selbst als für die Regierungsarbeit verschwendet. Ermüdende Streitereien um Personal und Posten sind zum Normalzustand im politischen Berlin geworden, so scheint es. Es ist ein frappierender Befund über den Zustand dieser großen Koalition, wenn die inhaltliche Auseinandersetzung zur seltenen Ausnahme verkommt. Es waren die ersten Spitzentreffen der Koalitionäre nach den Schockerlebnissen vom 26. Mai und 2. Juni. Nein, die Stimmung sei davon nicht getrübt worden, betonte Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) ausdrücklich, "weil wir auf Arbeitsebene in den Fraktionen immer sehr sachlich zusammengearbeitet haben". Laut CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wolle man Stabilität und Handlungsfähigkeit zeigen. Und der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider, befand, dass die Koalition viel Besseres leiste, als die öffentliche Zustimmung vermuten ließe. Man hält in Berlin also demonstrativ an der Koalition fest - allen Spekulationen über Neuwahlen zum Trotz. Doch allein die Tatsache, dass Fraktionsspitzen ihren guten Willen derart herauskehren, spricht schon dafür, dass eben dieser zuletzt kaum erkennbar war. Wer nimmt die inhaltliche Zusammenarbeit der Groko wahr? Wer schätzt sie für ihre Errungenschaften? Betrachtet man Wahlergebnisse und Umfragen, dann tut das nur die Minderheit. Der Glaubwürdigkeitsverlust ist zu groß, das Misstrauen sitzt zu tief. Nun standen also Mobilfunk, Pflege, Wirtschaft und gestern vor allem der Haushalt auf der Agenda. Ohne Zweifel sind der fehlende flächendeckende Mobilfunkausbau und zu niedrige Löhne bei zu hohen Belastungen im Pflegesektor überfällige Probleme, für die die Politik Lösungen finden muss. Fragt man allerdings nach den Themen, die die Menschen am meisten umtreiben, dann steht laut Forschungsgruppe Wahlen Umwelt und Energiewende ganz oben, gefolgt von Fragen zu Ausländern und Integration, dem sozialen Gefälle und den Renten. Diese Themen lassen sich nicht in drei Tagen abarbeiten, keine Frage. Dennoch ist das Signal aus der Wählerschaft eindeutig: Es sind die dicken Bretter, die zu bohren die Menschen von der Politik erwarten. Auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen, sich in ihre Themen hineinbohren, Antworten auf zukunftsrelevante Fragen geben - bei diesen Punkten glänzt die Regierung nicht. Wirklichen Nervenkitzel scheinen vielen Koalitions-Politikern dagegen tatsächlich nur die Personaldebatten zu bringen: Dann wachen sie auf, werden laut, bringen sich in Stellung. Bei Fragen zum Klimaschutz, zum richtigen Maß zwischen Offenheit und Härte in der Asyl- und Einwanderungspolitik, zur wachsenden sozialen Ungleichheit - da wirken sie dagegen oftmals müde und behäbig. Es wirkt dann, als wäre die große Koalition bettfertig, bereit sich zur Ruhe zu legen. Eines sei hier betont: Es ist nicht nur im Sinne der Koalitionäre, dass die Regierung stabil und handlungsfähig ist. Es ist im Sinne aller Bürger. Die Bevölkerung verlangt nach wachem Tatendrang und neuen Ideen für dieses Land. Die Rufe danach werden immer lauter.
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