Bielefeld (ots) - Leidenschaftlich haben sich die Grünen in Bielefeld ihres Kurses versichert. Und Links ist die vorgegebene Richtung. Nicht wegen des DDR-Volkskammer-Ergebnisses (97,1 Prozent) für die Vorsitzende Annalena Baerbock, die auffällig oft von der Veränderung des »Systems« sprach. Zuweilen musste man den Eindruck haben, dass hier eine sozialistische Revolution ausgerufen werden sollte. Eines haben die drei Tage jedenfalls deutlich gemacht: Die Grünen wollen zwar die Wähler der bürgerlichen Mitte, sie sind aber eine linke Partei. Was sich in Bielefeld vor allem auch an den Beschlüssen zur Wohnungspolitik ablesen ließ. Wer bei der Vorstellung der Anträge den zumeist jungen weiblichen Delegierten aus großstädtischen Kreisverbänden genau zuhörte, vermisste die Namen der großen Wohnungskonzerne Vonovia und Deutsche Wohnen. Da war klar: Die wollen generell allen Vermietern ans Leder. Nun sind Parteitage, oder wie es bei den Grünen heißt: Bundesdelegiertenkonferenz, keine Veranstaltungen, bei denen es um jedes Detail geht. Hier hat die Ideologie freien Lauf - auch in den Anträgen. Präsentiert haben sich die Grünen als urbane, ökologische Linkspartei, die bald 100.000 Mitglieder haben wird. Und sie bedienen ihre Klientel, die Bundesgeschäftsführer Michael Kellner mit »Reich, Wessi, Großstadt« beschrieb und gerade dieses Klischee loswerden möchte. Dumm nur, dass es weitgehend der Wirklichkeit entspricht. Auch wenn die aktuelle Forsa-Umfrage die Grünen erstmals seit einem halben Jahr unter 20 Prozent sieht, bleiben sie die zweitstärkste Partei. Und ihr Thema, der Klimaschutz, wird auch bleiben. Das Hochwasser in Venedig lässt kaum Zweifel daran zu, dass es auf klimatische Veränderungen zurückzuführen ist. Wenn die Wassermassen auf dem Markusplatz in der Geschichte der Lagunenstadt erst sechsmal so hoch standen wie jetzt und davon dreimal in den vergangenen 20 Jahren, dann lässt sich das nicht wegdiskutieren. Dass die Grünen den Klimaschutz zuerst als deutsche und dann als europäische und globale Aufgabe sehen, macht sie angreifbar. Denn Klima ist keine nationale Angelegenheit, und ihre radikalen Lösungsvorschläge lassen sich nicht in praktische Politik für ein Industrieland und einen Wohlfahrtsstaat mit 82 Millionen Einwohnern umsetzen. Die Grünen müssen sich auch fragen lassen, ob sie sich noch als Umweltschutz-, Naturschutz- und Tierschutzpartei begreifen. Wer die zu Recht umstrittene Windkraft derart dogmatisch fordert und verteidigt, der nimmt den Tod von Hunderten Greifvögeln und Milliarden Insekten in Kauf. Und die Glaubwürdigkeit leidet auch, wenn einerseits der Hambacher Forst gerettet, aber andererseits der nordhessische Reinhardswald für Windkraft gerodet werden soll. Das ist Klientelpolitik. Denn das urbane Milieu der Grünen-Wähler möchte seinen Energiebedarf zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energieformen abdecken. Das ist in Ordnung. Aber es ist ein Unding, dass hier eine Metropolen-Elite den Bewohnern des ländlichen Raums Windkraftanlagen und Stromtrassen auferlegen will, um sich in der Stadt besser zu fühlen. Und es sind auch in erster Linie Städter, die den Wolf schützen wollen - weil sie höchstwahrscheinlich nie einem Wolf begegnen werden. Auf dem Land, wo Wölfe in der Nähe von Siedlungen auftauchen, sehen das die Menschen ganz anders. Die Grünen wären gut beraten, wenn sie den Stadt-Land-Konflikt nicht weiter befeuern würden. Spätestens wenn sie die Kanzlerkandidatur geklärt haben werden, wird der Kandidat oder die Kandidatin auch außerhalb der Metropolräume Wahlkampf machen müssen. Auf die Personalfrage reagieren die Grünen noch nicht. Warum sollten sie sich schon festlegen? Das machen die anderen Parteien ja auch nicht. Mehr scheint für Robert Habeck zu sprechen, auch wegen seiner Regierungserfahrung als Landesumweltminister in Schleswig-Holstein. Ob das als Qualifikation für das Kanzleramt reicht, müssen die Wähler entscheiden. Ebenso, ob sie dieses Land dem Risiko einer grün-rot-roten Bundesregierung aussetzen wollen. Und dass solch ein linkes Bündnis riskant wäre, steht außer Frage.
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