Köln (ots) - In Deutschland wird im Abgasskandal überwiegend gegen den VW-Konzern gewonnen. Eine Ausnahme ist das Oberlandesgericht Braunschweig, am Sitz von VW. Ist das Zufall oder ein grundlegendes Problem in unserem Rechtsstaat?
Insgesamt wurden in Deutschland bisher über 200.000 Klagen gegen VW und seine Händler eingereicht. Zuständig sind dafür 638 Amtsgerichte, 115 Landgerichte, 24 Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof. An über 90 Prozent der Gerichte endeten die Verfahren gegen VW für Betroffene mit einem positiven Ergebnis. Anders ist dies am Sitz des Autobauers in Braunschweig. Dort wurden rund 10.000 Klagen eingereicht, von denen bisher keine zugunsten der Verbraucher entschieden wurde. Da stellt sich die Frage, ob nach dem Dieselskandal nun ein Justizskandal folgt.
Viele Ungereimtheiten im Abgasskandal
Schaut man sich die folgenden Faktoren im Abgasskandal an, bestätigt sich immer häufiger der Verdacht, dass der Abgasskandal in Deutschland nicht sachlich behandelt wird:
1. Das Kraftfahrtbundesamt hängt von Beginn an bei der Aufklärung des Abgasskandals massiv hinterher und lässt leider nicht auf baldige Erkenntnisse hoffen.
2. Das Bundesland Niedersachsen ist zu knapp zwölf Prozent an VW beteiligt. VW zählt weltweit zu den größten Unternehmen und beschäftigt allein in Deutschland über 200.000 Mitarbeiter. Ist da eine Neutralität vor Gericht überhaupt möglich?
3. Der massenhafte Abgasbetrug wurde VW bereits mehrfach in den USA und anderen Ländern nachgewiesen. Bereits tausende Kunden bekamen ihre Schäden in Sammel- und Massenverfahren im Ausland ersetzt, nur in Deutschland lässt die Musterklage noch auf einen positiven Ausgang warten.
4. Statt einer echten Sammelklage, wie in vielen anderen Ländern, wurde hierzulande Ende 2018 die Musterfeststellungsklage eingeführt. Diese wurde erst kurz vor der drohenden Verjährung vieler Ansprüche gegen VW eingeführt und wird voraussichtlich drei bis vier Jahre dauern. Wird die Musterklage gewonnen, muss jeder Kläger seine Rechte noch in einem Einzelverfahren durchsetzen. Die Ansprüche gegen VW in diesem Folgeverfahren sind dann aufgrund von hohen Nutzungsabschlägen nur noch einen Bruchteil wert. Geschädigte in Deutschland müssen damit drei bis vier Jahre länger warten und bekommen viel weniger als in anderen Ländern.
5. VW gibt im Abgasskandal Milliarden an Euro für Anwälte aus, um Ansprüche abzuwehren, die Hürden für Betroffene möglichst hoch zu setzen und laufende Verfahren in die Länge zu ziehen. Anstatt dass Betroffene Schadensersatz erhalten, werden enorme Beträge ausgegeben, um eben dies zu verhindern.
6. An das Land NRW musste VW bereits eine Milliardenstrafe zahlen, welche von der Staatsanwaltschaft Braunschweig verhängt wurde. Eine Entschädigung für den Verbraucher wird in Braunschweig allerdings konsequent abgelehnt. Dabei sind die Hürden der Beweislast in Zivilverfahren viel geringer als in Strafverfahren. Außerdem äußert VW häufig, dass es kein Schuldeingeständnis sei, die Milliardenstrafe anzuerkennen. Da fragt man sich jedoch, wie die Anerkennung ansonsten zu verstehen ist.
7. Wegen ihrer illegalen Handlungen im Abgasskandal, wurden VW-Mitarbeiter bereits zu Haft- und Geldstrafen verurteilt. Ebenso hat VW selber bereits eigene Mitarbeiter wegen der Beteiligung am Abgasskandal verklagt. Das Landgericht Braunschweig ist sich in Zivilverfahren hingegen weiterhin nicht sicher, ob die Konzernspitze wirklich vom Massenbetrug wusste und ob eine vorsätzliche Schädigung durch VW vorliegt.
8. Trotz Abgasskandal, dem wohl größten Wirtschaftsskandals der Neuzeit in Deutschland, macht der VW-Konzern seit 2015 Rekordergebnisse. Diese betreffen sowohl den Umsatz als auch den Gewinn und das obwohl der Konzern jährlich hohe Summen für den Dieselskandal zurückstellt.
Ist VW also einfach ein super Wirtschaftsunternehmen, dem auch ein solcher Skandal nicht viel anhaben kann oder hat der Konzern einfach zu viel Einfluss auf Regierung und Justiz?
Sind vor dem Gesetz wirklich alle gleich in Braunschweig? Ohne Zweifel ist VW als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland und Konzerne der Welt ein Finanzriese und wichtiger Einflussfaktor. Es muss dagegen die Frage erlaubt sein, ob das ausreichen darf, um Vorteile zu genießen, welche die anderen nicht haben. Die Antwort kann nach deutschem Recht nur eindeutig NEIN lauten. Denn, wenn Bundesämter und Gerichte ihre Unabhängigkeit von der Wirtschaft so weit verlieren, dass es offenkundig zu unlösbaren Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten kommt, droht das Vertrauen vieler Bürger in den Rechtsstaat einen massiven Schaden zu nehmen. Dies sollte mittel- und langfristig weder im Interesse der Bürger noch der Unternehmen in Deutschland sein.
Weitere Informationen finden Sie unter: https://www.db-anwaelte.de/anwalt/dieselskandal/anwalt-vw-abgasskandal/
Über den Autor:
Ulf Böse Dipl.-Jur., Rechtsanwalt, Partner, Geschäftsführer bei Decker & Böse Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Betreut als einer der führenden Anwälte für Massenschäden in Deutschland mit seiner Anwaltskanzlei Decker & Böse über 25.000 Verträge von Verbrauchern. Herr Böse ist Spezialist für die Themen Abgasskandal und Diesel-Fahrverbot sowie Widerruf von Darlehen und Autofinanzierungen.
Pressekontakt:
Decker & Böse Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Claudiastr. 2
51149 Köln
Tel: 0221 / 292 70 345
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Insgesamt wurden in Deutschland bisher über 200.000 Klagen gegen VW und seine Händler eingereicht. Zuständig sind dafür 638 Amtsgerichte, 115 Landgerichte, 24 Oberlandesgerichte und der Bundesgerichtshof. An über 90 Prozent der Gerichte endeten die Verfahren gegen VW für Betroffene mit einem positiven Ergebnis. Anders ist dies am Sitz des Autobauers in Braunschweig. Dort wurden rund 10.000 Klagen eingereicht, von denen bisher keine zugunsten der Verbraucher entschieden wurde. Da stellt sich die Frage, ob nach dem Dieselskandal nun ein Justizskandal folgt.
Viele Ungereimtheiten im Abgasskandal
Schaut man sich die folgenden Faktoren im Abgasskandal an, bestätigt sich immer häufiger der Verdacht, dass der Abgasskandal in Deutschland nicht sachlich behandelt wird:
1. Das Kraftfahrtbundesamt hängt von Beginn an bei der Aufklärung des Abgasskandals massiv hinterher und lässt leider nicht auf baldige Erkenntnisse hoffen.
2. Das Bundesland Niedersachsen ist zu knapp zwölf Prozent an VW beteiligt. VW zählt weltweit zu den größten Unternehmen und beschäftigt allein in Deutschland über 200.000 Mitarbeiter. Ist da eine Neutralität vor Gericht überhaupt möglich?
3. Der massenhafte Abgasbetrug wurde VW bereits mehrfach in den USA und anderen Ländern nachgewiesen. Bereits tausende Kunden bekamen ihre Schäden in Sammel- und Massenverfahren im Ausland ersetzt, nur in Deutschland lässt die Musterklage noch auf einen positiven Ausgang warten.
4. Statt einer echten Sammelklage, wie in vielen anderen Ländern, wurde hierzulande Ende 2018 die Musterfeststellungsklage eingeführt. Diese wurde erst kurz vor der drohenden Verjährung vieler Ansprüche gegen VW eingeführt und wird voraussichtlich drei bis vier Jahre dauern. Wird die Musterklage gewonnen, muss jeder Kläger seine Rechte noch in einem Einzelverfahren durchsetzen. Die Ansprüche gegen VW in diesem Folgeverfahren sind dann aufgrund von hohen Nutzungsabschlägen nur noch einen Bruchteil wert. Geschädigte in Deutschland müssen damit drei bis vier Jahre länger warten und bekommen viel weniger als in anderen Ländern.
5. VW gibt im Abgasskandal Milliarden an Euro für Anwälte aus, um Ansprüche abzuwehren, die Hürden für Betroffene möglichst hoch zu setzen und laufende Verfahren in die Länge zu ziehen. Anstatt dass Betroffene Schadensersatz erhalten, werden enorme Beträge ausgegeben, um eben dies zu verhindern.
6. An das Land NRW musste VW bereits eine Milliardenstrafe zahlen, welche von der Staatsanwaltschaft Braunschweig verhängt wurde. Eine Entschädigung für den Verbraucher wird in Braunschweig allerdings konsequent abgelehnt. Dabei sind die Hürden der Beweislast in Zivilverfahren viel geringer als in Strafverfahren. Außerdem äußert VW häufig, dass es kein Schuldeingeständnis sei, die Milliardenstrafe anzuerkennen. Da fragt man sich jedoch, wie die Anerkennung ansonsten zu verstehen ist.
7. Wegen ihrer illegalen Handlungen im Abgasskandal, wurden VW-Mitarbeiter bereits zu Haft- und Geldstrafen verurteilt. Ebenso hat VW selber bereits eigene Mitarbeiter wegen der Beteiligung am Abgasskandal verklagt. Das Landgericht Braunschweig ist sich in Zivilverfahren hingegen weiterhin nicht sicher, ob die Konzernspitze wirklich vom Massenbetrug wusste und ob eine vorsätzliche Schädigung durch VW vorliegt.
8. Trotz Abgasskandal, dem wohl größten Wirtschaftsskandals der Neuzeit in Deutschland, macht der VW-Konzern seit 2015 Rekordergebnisse. Diese betreffen sowohl den Umsatz als auch den Gewinn und das obwohl der Konzern jährlich hohe Summen für den Dieselskandal zurückstellt.
Ist VW also einfach ein super Wirtschaftsunternehmen, dem auch ein solcher Skandal nicht viel anhaben kann oder hat der Konzern einfach zu viel Einfluss auf Regierung und Justiz?
Sind vor dem Gesetz wirklich alle gleich in Braunschweig? Ohne Zweifel ist VW als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland und Konzerne der Welt ein Finanzriese und wichtiger Einflussfaktor. Es muss dagegen die Frage erlaubt sein, ob das ausreichen darf, um Vorteile zu genießen, welche die anderen nicht haben. Die Antwort kann nach deutschem Recht nur eindeutig NEIN lauten. Denn, wenn Bundesämter und Gerichte ihre Unabhängigkeit von der Wirtschaft so weit verlieren, dass es offenkundig zu unlösbaren Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten kommt, droht das Vertrauen vieler Bürger in den Rechtsstaat einen massiven Schaden zu nehmen. Dies sollte mittel- und langfristig weder im Interesse der Bürger noch der Unternehmen in Deutschland sein.
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Über den Autor:
Ulf Böse Dipl.-Jur., Rechtsanwalt, Partner, Geschäftsführer bei Decker & Böse Rechtsanwaltsgesellschaft mbH Betreut als einer der führenden Anwälte für Massenschäden in Deutschland mit seiner Anwaltskanzlei Decker & Böse über 25.000 Verträge von Verbrauchern. Herr Böse ist Spezialist für die Themen Abgasskandal und Diesel-Fahrverbot sowie Widerruf von Darlehen und Autofinanzierungen.
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