Von Manuel Priego Thimmel
FRANKFURT (Dow Jones)--Börsianer sind Berufsoptimisten. Die jüngste Rally an den Aktienmärkten stellt dies einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis. Die Nachricht, dass chinesische Forscher ein effektives Medikament zur Behandlung von am neuen Coronavirus Erkrankten entwickelt haben sollen, trieb die Kurse genauso wie Berichte, dass britische Wissenschaftler angeblich einen Durchbruch bei der Suche nach einem Impfstoff erzielt hätten. Liquiditätsspritzen durch die chinesische Notenbank taten ihr Übriges.
Der Nachrichtenfluss ist zweifellos positiv. Aber reicht er wirklich aus, um den DAX fast auf das Allzeithoch bei 13.640 Punkte zu schieben? Zweifel sind angebracht. Selbst wenn sich die Meldungen zu einem Behandlungsdurchbruch verfestigen sollten, dauerte es Monate, bis ein Medikament bzw. Impfstoff verabreicht werden kann. Derweil grassiert das Virus weiter; und den offiziellen Fallzahlen zu den Infizierten aus China sollte, genauso wie den offiziellen BIP-Daten, mit einer gewissen Skepsis begegnet werden.
Coronavirus ist bei Unternehmen angekommen
Nach Einschätzung der Deutschen Bank ist es noch zu früh, um Entwarnung zu geben. Die Lage in Wuhan und und Hubei könnte sich weiter als sehr schwierig darstellen. Die Analysten gehen daher davon aus, dass sich der Ausnahmezustand der chinesischen Wirtschaft kurzfristig fortsetzen wird. Die Commerzbank schätzt, dass allein die um eine Woche verlängerten Neujahrsferien das chinesische BIP im ersten Quartal um 2 Prozent senken dürften.
Dass der Coronavirus in der Zwischenzeit bei den Unternehmen angekommen ist, zeigen die sich mehrenden Warnungen. Nicht nur die hoch exponierten Fluglinien bekommen die Folgen nun zu spüren. So drohen Nike, Adidas, Puma und Burberry Umsatzeinbußen, nachdem diese Unternehmen viele Läden in China vorübergehend geschlossen haben. Auch im Technologiesektor gibt es wegen der vor allem in Asien angesiedelten Lieferketten erste Warnungen. Und im Autosektor hat Fiat gewarnt, der Konzern müsse möglicherweise ein Werk in Europa zeitweise stilllegen.
Berichtssaison in Deutschland mau angelaufen
Das spricht dafür, dass die Ausblicke vieler Unternehmen in der gerade anlaufenden Berichtssaison zurückhaltend ausfallen werden. Und die bisher vorgelegten Geschäftszahlen sehen zumindest aus deutscher Sicht nicht überzeugend aus. Wie die Commerzbank anmerkt, haben bislang nur 14 Prozent der DAX-Unternehmen die Erwartungen geschlagen, 43 Prozent berichteten schlechter. Im MDAX übertrafen bislang nur 6 Prozent die Schätzungen, 19 Prozent verfehlten sie.
Auf europäischer Ebene scheint es besser zu laufen. Dort hat laut Deutsche Bank mehr als die Hälfte der europäischen Unternehmen die Gewinnerwartungen bisher übertroffen. Die bisher veröffentlichten Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die europäischen Konzerne ihre Gewinne im Schlussquartal 2019 um knapp 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern konnten. Lediglich Energie- und Grundstoffunternehmen verbuchten deutliche Verluste von über 25 Prozent.
Höhere Multiples treiben die Börsen
Allerdings erscheinen die Gewinnerwartungen für das laufende Jahr noch immer viel zu hoch - sowohl in den USA als auch in Deutschland. Im S&P-500 wird laut DWS mit einem Anstieg der Unternehmensgewinne 2020 von 8,5 Prozent gerechnet. Das erscheint optimistisch, wenn man bedenkt, dass die Gewinne der S&P-500-Unternehmen 2019 gegenüber dem Vorjahr überhaupt nicht gestiegen waren. Die Rally im vergangenen Jahr war also ausschließlich auf eine Ausweitung der Bewertungs-Multiples zurückzuführen.
Der DAX weise auf Basis der 2020er-Gewinnschätzungen ein KGV von 14 auf und sei damit im historischen Vergleich 16 Prozent zu teuer, so die DZ Bank. Im Konsens werde mit einem DAX-Gewinnwachstum von 13 Prozent in diesem Jahr und 12 Prozent im kommenden Jahr gerechnet. Unklar sei, woher dieses Wachstum kommen soll. Wahrscheinlicher sei, dass die Prognosen zurückkommen würden, heißt es. Dann gibt es nur zwei mögliche Reaktionen: Entweder fallen die Kurse oder die Bewertungen schießen noch weiter in die Höhe.
Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com
DJG/mpt/flf
(END) Dow Jones Newswires
February 07, 2020 08:05 ET (13:05 GMT)
Copyright (c) 2020 Dow Jones & Company, Inc.