BERLIN (Dow Jones)--Vor einer Anhörung zum Kohleausstieg im Bundestags-Umweltausschuss hat das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) auf eine Änderung im europäischen Emissionshandel gedrängt. In dem EU-Zertifikatesystem sollte kein flexibler Marktpreis für Verschmutzungsrechte gelten, sondern ein Preiskorridor, sagte der PIK-Forscher Michael Pahle im Gespräch mit Dow Jones News. "Dafür sollte sich Deutschland im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes einsetzen", so der Leiter der Institutsarbeitsgruppe Klima- und Energiepolitik, der bei der Expertenanhörung am Montag ab 14 Uhr geladen ist.
Die Zusicherung der Bundesregierung im Kohleausstiegsgesetz, künftig frei werdende CO2-Berechtigungen auch zu löschen, begrüßte Pahle grundsätzlich. Allerdings könne das System der sogenannten Marktstabilitätsreserve, mit dem die Entnahme überschüssiger Zertifikate in der EU automatisch organisiert ist, sehr teuer werden: So rechnet das PIK mit Kosten von rund 19 Milliarden Euro über die nächsten 30 Jahre durch entgangene Auktionserlöse in Deutschland. "Das wäre mehr als die Entschädigungszahlungen im Zuge des Kohleausstiegs selbst", betonte Pahle.
Darüber hinaus fürchtet der Experte, dass eine Stärkung der Markstabilitätsreserve den Emissionshandel insgesamt schwächen könnte. Das System sei "perspektivisch sehr komplex und in seiner Wirkung sehr schwer vorherzusehen". Beispielsweise sei unklar, wann wie viele Zertifikate in die Marktstabilitätsreserve aufgenommen und wann sie gelöscht würden.
"Es gibt auch Rückkopplungseffekte, die dazu führen, dass diese Löschung zwar funktioniert, aber die Preise sehr stark darauf reagieren und volatiler werden", so Pahle. Denn Unternehmen, die solche Verschmutzungsrechte kaufen wollen, machen nicht nur Prognosen über die Preisentwicklung, sondern auch eine Abschätzung über die Löschung. "Dann heißt das, dass sich die Preise verändern", so Pahle. "Wenn der Preis jetzt sinkt, werden sie mehr Zertifikate einsetzen." Die Folge: Es würden weniger Zertifikate frei, weniger gelöscht - und mehr CO2 ausgestoßen.
Die Weiterentwicklung der Marktstabilitätsreserve in Richtung eines Preiskorridors könnte es auch leichter machen, den europäischen Emissionshandel mit dem geplanten nationalen CO2-Preis zu verzahnen, sagt Pahle. Der CO2-Preis, den die Bundesregierung ab dem kommenden Jahr für die Inverkehrbringer von Kraft- und Heizstoffen plant, beginnt mit einem Festpreis von 25 Euro. Anschließend steigt der Mindestpreis schrittweise auf bis zu 55 Euro im Jahr 2025 an. Ab 2026 soll dann ein Preiskorridor von mindestens 55 und höchstens 65 Euro gelten. Pahle betont, dass dieser Korridor aber "relativ schmal" sei und im EU-System breiter ausgestaltet werden müsste.
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June 11, 2020 10:55 ET (14:55 GMT)
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