
Von AnnaMaria Andriotis, Paul J. Davies und Juliet Chung
NEW YORK (Dow Jones)--Der insolvente Zahlungsdienstleister Wirecard hat offenbar Glücksspieltransaktionen falsch verschlüsselt. Zudem seien mit gestohlenen Karten relativ viele Käufe getätigt und Transaktionen wieder rückgängig gemacht worden. Dies habe hohe Geldstrafen seitens der beiden großen Kreditkartennetzwerke Visa und Mastercard nach sich gezogen, sagten informierte Personen.
Visa und Mastercard verhängten demnach vor mehr als zehn Jahren Geldbußen von jeweils mehr als 10 Millionen US-Dollar. Beide Konzerne seien gegenüber dem Geschäft von Wirecard misstrauisch geblieben. Mindestens seit 2015 waren die Führungskräfte von Visa besorgt, dass Wirecard ein Problem sei, sagten einige der mit der Sache vertrauten Personen.
Visa habe Wirecard aufgefordert, bestimmte Händler zu sperren, und habe moniert, dass zu viele Geschäfte aus risikoreichen Bereichen wie Glücksspiel, Pornografie und unregulierten Gesundheitsprodukten, sogenannten "Nutraceuticals", stammten. Einige Kunden von Wirecard hätten ihren Namen geändert, um nicht als problematischer Händler identifiziert zu werden.
Solche risikoreichen Kunden seien für Wirecard sehr lukrativ gewesen. So zahlte beispielsweise Pornjapan, ein Anbieter von Pornografie, laut internen Wirecard-Dokumenten, die im Wall Street Journal eingesehen werden konnten, im Jahr 2017 insgesamt 10 Prozent Gebühren für Transaktionen, die von Wirecard abgewickelt wurden. Üblich sind Gebühren von 2 bis 3 Prozent für Käufe mit US-Kreditkarten.
Ein Visa-Sprecher lehnte einen Kommentar ab. Auch ein Wirecard-Sprecher wollte sich nicht dazu äußern.
Ein Sprecher von Mastercard sagte, der Konzern überprüfe sein Netzwerk aktiv auf Gesetzesverstöße und die Nichteinhaltung seiner Bestimmungen. "Wo wir Bereiche sehen, die potentiell bedenklich sind, untersuchen wir gründlich und arbeiten mit unseren Kunden zusammen, um alle Probleme, die wir identifizieren, zu beheben", sagte er. "Dies kann Korrekturmaßnahmen, Bußgelder oder die Aussetzung oder Beendigung einer Lizenz unter bestimmten Umständen beinhalten".
Wirecard, die im vergangenen Monat Insolvenz anmelden musste, weil auf ihren Konten fast 2 Milliarden Euro fehlen, wickelte Zahlungen im Namen von Geschäften und Online-Händlern ab.
Im Jahr 2008 verhängte Mastercard laut einer informierten Person gegen Wirecard eine Geldbuße in Höhe von 11 Millionen britischen Pfund wegen der Bearbeitung von Glücksspieltransaktionen unter falschen Codes. Im Jahr 2010 habe Mastercard wegen neuer Bedenken an die Wirecard-Bank geschrieben, dass das Unternehmen Glücksspieltransaktionen, die Banken zuvor abgelehnt hatten, über falsch kodierte Händler umleiten würde. Die Banken würden diese Zahlungen dann genehmigen, weil sie denken, dass sie nicht mit Glücksspiel zu tun hätten, heißt es in einem Brief von Mastercard an Wirecard, der im Wall Street Journal veröffentlicht wurde.
In den vergangenen zwölf Jahren waren zeitweise sowohl die Führungskräfte von Visa als auch von Mastercard besorgt über eine hohe Anzahl von Wirecard-Transaktionen, die von Karteninhabern beanstandet wurden und als Chargebacks bezeichnet werden. Diese Transaktionen betrafen nach Angaben des Informanten häufig die betrügerische Verwendung von Karten auf den Websites von Wirecard-Kunden.
Im Jahr 2009 verhängte Visa eine Geldstrafe in Höhe von 12 Millionen Dollar gegen die Wirecard-Bank wegen hoher Rückbuchungen, die im Oktober und November 2009 stattfanden. Dies geht aus Dokumenten hervor, die im Rahmen einer FTC-Klage öffentlich zugänglich gemacht wurden und nicht direkt mit Wirecard in Verbindung stehen. Im Vergleich dazu betrug der Gesamtumsatz von Wirecard im vierten Quartal 2009 etwa 79 Millionen US-Dollar.
Visa betrachtet Rückbuchungen derzeit als hoch, wenn sie etwa 1 Prozent der bei einem Händler getätigten Einkäufe übersteigen.
Im Oktober 2009 hatten einige der Wirecard-Kunden Rückbuchungsraten zwischen 2 und 15 Prozent, darunter auch Händler aus dem Nutrazeutika-Sektor, wie die Dokumente zeigen, die im Rahmen der FTC-Klage eingereicht wurden. Unter den am schlimmsten betroffenen Händlern waren die Rückbuchungen im November sogar noch höher. Mehrere lagen deutlich über 100 Prozent, was darauf hindeutet, dass die strittigen Transaktionen höher waren als die Transaktionen in diesem Monat. Wirecard legte gegen die Bußgelder keine Berufung ein, so die Dokumente.
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July 27, 2020 15:09 ET (19:09 GMT)
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