WIEN (dpa-AFX) - Österreich schränkt wegen einer drohenden Überlastung der Intensivmedizin in der Corona-Krise das öffentliche Leben stark ein. Die Gastronomie und fast das gesamte Kultur- und Freizeitangebot schließen, landesweit ist das Verlassen der Wohnung zwischen 20 und 6 Uhr nur zu bestimmten Zwecken erlaubt - allerdings auch zur Erholung im Freien. "Ab Dienstag, dem 3. November 0 Uhr, bis Ende November wird es zu einem zweiten Lockdown in Österreich kommen", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Samstag in Wien.
Anders als im ersten sogenannten Lockdown im Frühjahr, der strengere Ausgangsbeschränkungen rund um die Uhr vorsah, bleiben dieses Mal der Handel und auch die meisten Schulen offen - "vorerst", wie Kurz betonte. Schüler ab der Oberstufe und Studierende lernen zuhause. Veranstaltungen des Profisports dürfen als einzige stattfinden, aber nur ohne Zuschauer. Kontaktsport in der Freizeit ist verboten. Besuche in Krankenhäusern und Pflegeheimen werden begrenzt.
Am Sonntagabend stimmte auch der Hauptausschuss des Parlaments den Maßnahmen zu. Die Verordnung gilt bis zum 30. November, die Ausgangsbeschränkung muss alle zehn Tage vom Parlament neu genehmigt werden. Die Opposition forderte von der konservativ-grünen Regierung ausführliche Begründungen zu den einzelnen Schritten.
"Unser Ziel ist es, im Dezember schrittweise wieder zu öffnen und zu einem halbwegs normalen Leben zurückzukehren", betonte Kurz. "Es ist notwendig, diesen Schritt zu setzen, um eine Überlastung der Intensivmedizin zu verhindern." Noch vor drei Wochen hatte die Regierung in Wien betont, ein zweiter Lockdown sei nicht denkbar. "Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen", hatte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am 11. Oktober dem Sender ORF gesagt. "Davon sind wir Gott sei Dank noch meilenweit entfernt."
Seither haben sich die Ansteckungszahlen allerdings fast verfünffacht. Am Freitag wurde in dem Land mit fast neun Millionen Einwohnern zuletzt der Rekordwert von 5627 Neuinfektionen an einem Tag gemeldet, am Wochenende waren es etwas weniger. In den vergangenen sieben Tagen gab es im Schnitt 321,3 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner, in den Bundesländern Vorarlberg und Tirol sogar jeweils deutlich mehr als 400.
"Die meisten Ansteckungen finden bei Menschen statt, die sich kennen, die sich mögen", betonte Kurz. Die nächtliche Ausgangsbeschränkung nannte er deshalb "de facto ein Besuchsverbot". Erlaubt ist konkret das Verlassen des "eigenen privaten Wohnraums" zwischen 20 und 6 Uhr zur Erholung im Freien, für Grundbedürfnisse, zu Betreuung oder familiärer Unterstützung, zur Arbeit und bei Gefahren. Die Gastronomie darf in der Zeit noch liefern, aber keine Speisen mehr zur Abholung anbieten.
Außerdem enthält die Verordnung Kontaktbeschränkungen, laut denen sich nur noch Personen aus zwei Haushalten treffen dürfen. Für das eigene Haus oder die Wohnung gilt das nicht, da der private Wohnraum in Österreich von der Verfassung strikt geschützt wird. "Es wird nicht geben, dass die Polizei beginnt, in privaten Wohnräumen Nachschau zu halten", betonte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).
Auf der Straße solle die Polizei in der Zeit der nächtlichen Beschränkungen dagegen gerade zu Beginn verstärkt kontrollieren, sagte Nehammer. Rechtsexperten sehen dabei allerdings mögliche Probleme wie schon zuvor bei den Corona-Bestimmungen im Frühjahr, die vom Verfassungsgericht nachträglich in mehreren Punkten etwa wegen Ungenauigkeiten in der Verordnung kassiert worden waren.
Entschädigungen für von der Schließung betroffene Unternehmen sollen schnell ausgezahlt werden. Sie erhalten bis zu 80 Prozent ihres Umsatzes aus dem Vergleichszeitraum, einem Monat des Vorjahrs, maximal 800 000 Euro. Die Gesamtkosten schätzt die Regierung auf rund 1 Milliarde Euro.
Erste sichtbare Auswirkungen der Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen sind laut der österreichischen Regierung indes erst in sieben bis 14 Tagen zu erwarten. Der wirkliche Durchbruch werde erst stattfinden, wenn ein Impfstoff erhältlich sei, sagte Kurz. "Ich bleibe optimistisch und bleibe dabei, dass wir spätestens nächsten Sommer zur gewohnten Normalität zurückkehren können."/cpe/DP/mis