BERLIN (dpa-AFX) - Die Talsohle ist durchschritten. Dennoch kommt der Ausbau der Windkraft an Land nicht richtig in Schwung. Die Energiewirtschaft spricht von einem "Schneckentempo", die Politik müsse mehr tun. Windkraftgegner dagegen fordern einen Ausbaustopp. Windräder bleiben heftig umstritten in Deutschland.
2020 kamen 420 Windenergieanlagen an Land mit einer Leistung von insgesamt 1431 Megawatt hinzu - das entspricht einer Steigerung von etwa 46 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das geht aus Zahlen der Deutschen WindGuard im Auftrag des Bundesverbands Windenergie (BWE) sowie des Fachverbandes VDMA Power Systems hervor.
Damit war 2020 aber das zweitschwächste Ausbaujahr seit Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes im Jahr 2000 - nach 2019, als ein Tiefststand erreicht wurde. Den größten Anteil am Zubau hatte den Angaben zufolge 2020 Nordrhein-Westfalen. Dahinter folgten Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Weitaus weniger neue Windräder gab es in den südlichen Ländern Baden-Württemberg und Bayern. "Windland" Nummer eins bleibt Niedersachsen.
"Wir haben mit dem Marktwachstum im Jahr 2020 zwar den ersten Schritt aus der Talsohle erreicht, dennoch klaffen Anspruch und Wirklichkeit beim Zubau zu weit auseinander", sagte Matthias Zelinger, Geschäftsführer von VDMA Power Systems am Dienstag. Für das Jahr 2021 prognostizieren die Verbände auf Basis der bezuschlagten Projekte einen Ausbau von 2000 bis 2500 Megawatt.
"In diesem Schneckentempo erreichen wir die Klimaziele nicht", sagte die Hauptgeschäftsführerin des Energieverbandes BDEW, Kerstin Andreae. Die Zahlen zum Ausbau seien alarmierend. Notwendig wäre mindestens die dreifache Zubaumenge pro Jahr.
Windkraft an Land ist eine zentrale Säule der Energiewende in Deutschland - also dem Übergang von fossilen Energieträgern wie Kohle hin zu erneuerbaren aus Wind und Sonne. Die insgesamt installierte Leistung in Deutschland lag zum Jahresende 2020 bei rund 55 Gigawatt - Zielmarke für 2030 sind 71 Gigawatt. Das sieht die vor kurzem beschlossene Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vor - wie auch finanzielle Anreize für Gemeinden, auf deren Boden Windräder gebaut werden.
Die Zielmarke dürfte aber schon bald heraufgesetzt werden. Denn die schwarz-rote Koalition hatte vereinbart, im ersten Quartal 2021 einen weitergehenden Ausbaupfad für die erneuerbaren Energien zu definieren. Hintergrund sind neue Klimaziele der EU. Vor allem das SPD-geführte Umweltministerium will deutlich mehr Tempo. Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth nannte vor kurzem im "Tagesspiegel" eine Zielmarke von 95 Gigawatt bis 2030.
Zentral bei den Verhandlungen ist, wie genau die Annahmen für den künftigen Strombedarf aussehen, bisher gibt es Differenzen in der Regierung. Vertreter der Energieverbände machten deutlich, sie erwarteten vor allem einen höheren Bedarf für erneuerbare Energien in der Industrie - ein Beispiel ist der Einsatz von "grünem Wasserstoff" in der Stahlindustrie.
Bei den Verhandlungen in der Koalition geht es auch um die immensen Kosten des Ausbaus. Damit die EEG-Umlage als wichtiger Bestandteil der Stromrechnung nicht drastisch steigt, musste sie die Bundesregierung mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt stabilisieren. Die Frage ist nun, wie es mittel- und langfristig weitergeht.
Dazu kommt: Damit der vor allem im Norden produzierte Windkraft-Strom in die großen Verbrauchszentren im Süden kommt, sind aus Sicht der Regierung tausende Kilometer neue Stromleitungen nötig. Auch hier aber kommt der Ausbau nur langsam voran. Als "Dreh- und Angelpunkt" für den notwendigen deutlichen Anstieg beim Zubau sieht BWE-Präsident Hermann Albers aber, dass mehr Flächen bereit gestellt und Genehmigungsverfahren beschleunigt werden.
Das sieht auch die Gewerkschaft IG Metall so: "Wir brauchen dringend mehr Windanlagen an Land und weniger heiße Luft aus der Politik", sagte Vorstandsmitglied Wolfgang Lemb. "Es müssen mehr Flächen ausgewiesen werden, die verwaltungstechnischen Prozesse brauchen ein höheres Tempo, um in der Konsequenz den Ausbau voranzubringen."
Bleibt noch das vor allem vor Ort heftig umstrittene Thema Artenschutz. Albers sagte, oft gebe es jahrelangen Streit darüber, ob Windräder gebaut werden dürften. Die Branche hoffe auf Erleichterungen. Die Bundesländer hatten sich im Dezember auf einheitliche Standards zur Risikobewertung verständigt, um Konflikte zwischen Windkraft-Ausbau und Naturschutz zu mildern.
Der Naturschutz werde immer mehr ausgehebelt, kritisierte dagegen Rainer Ebeling von der Bürgerinitiative Vernunftkraft. Außerdem stünden zu viele Anlagen zu dicht an Häusern. Es sei absurd, dass immer höhere Ausbauziele gesetzt würden, dies gehe zu Lasten der Natur, der Landschaft und der Menschen. "Es muss einen Stopp des weiteren Ausbau der Windkraft geben."/hoe/DP/stw