DJ Netzbetreiber rechnen mit Milliarden-Mehrkosten für Stromtrassen
BERLIN (Dow Jones)--Die vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber sehen bei den Stromautobahnen einen deutlich höheren Ausbau- und Finanzbedarf als bislang erwartet. Das geht aus dem Entwurf des Netzentwicklungsplans 2035 hervor, den die Unternehmen 50Hertz, Amprion, TenneT und TransnetBW am Freitag veröffentlichten. Danach seien Maßnahmen auf 800 bis 1.450 Kilometern mehr nötig, als im Bundesbedarfsplan vorgesehen. Während der Bund die Kosten für den Ausbau bis 2030 auf 17,3 Milliarden Euro schätzt, gehen die Netzbetreiber von 105 bis 115 Milliarden Euro bis 2035 aus.
Das entsprechende Bundesbedarfsplangesetz hatte der Bundestag am späten Donnerstagabend verabschiedet. Es berücksichtigt den Ausbau von Stromtrassen an Land und für die Anbindung der Offshore-Windenergie. Demnach erhöhen sich die Netzentgelte für Haushalts- und Gewerbekunden um bis zu 9 Prozent, was laut der Rechnung der Netzbetreiber nicht ausreichen würde. Sie schätzen das Investitionsvolumen an Land zwischen 72 und 76,5 Milliarden Euro - darin enthalten sind auch Maßnahmen, die bereits im Bau, planfestgestellt oder kurz davor sind. Für die Integration von Offshore-Windenergie sind demnach zwischen 33 bis 38,5 Milliarden Euro nötig.
Ökostromanteil von 70 und 74 Prozent im Jahr 2035
Grund für die höheren Ausbau- und Kosten-Annahmen ist, dass die Netzbetreiber bereits die energiepolitischen Vorgaben und das Klimaziel 2050 einpreisen. Während der Bundesbedarfsplan von dem Ziel ausgeht, im Jahr 2030 einen Ökostrom-Anteil von 65 Prozent zu erreichen, blicken die Netzbetreiber schon Jahre weiter. Ihnen zufolge soll der Erneuerbaren-Anteil im Jahr 2035 zwischen 70 und 74 Prozent liegen, was einer Leistung zwischen 233 und 261 Gigawatt im Jahr entspricht. 2040 soll der Erneuerbaren-Anteil dann bei 76 Prozent liegen (268 Gigawatt).
Insgesamt rechnen die Netzbetreiber in ihrem Planungsentwurf für 2035 mit nötigen Maßnahmen auf bis zu 16.990 Kilometer Leitungsstrecke - davon zwischen 11.635 und 12.290 Kilometer an Land und 4.000 bis 4.700 für die Anbindung der Meereswindparks. Verlegungsarbeiten seien dabei vor allem bei den Gleichspannungs-Erdkabeln nötig, die den Strom von Nord- nach Süddeutschland transportieren, erklärte 50Hertz-Sprecher Volker Gustedt. Bei den Wechselspannungs-Freileitungen geht es bei 75 Prozent der Maßnahmen um Netzverstärkung, etwa den Austausch von Seilen.
Stadtwerke fordern Instrument der Spitzenglättung
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) erklärte, die Berechnungen böten eine gute Basis, an der sich die Bundesregierung bei der Erhöhung der Ökostrom-Ausbaupfade orientieren sollte. So müssten auch die Szenarien für den Stromverbrauch neu berechnet werden, zumal die Netzbetreiber je nach Szenario für 2035 einen Stromverbrauch von 650 bis 700 Terawattstunden errechnen. Dagegen geht die Bundesregierung im Erneuerbare-Energien-Gesetz nicht von einem deutlich steigenden Strombedarf bis 2035 aus.
Zudem fordeten die Stadtwerke Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) auf, den jüngst von ihm kassierten Entwurf des Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetzes auf den Weg zu bringen. Denn der Ausbaubedarf im Netzentwicklungsplan sei unter der Annahme erstellt worden, dass bei flexiblen Verbrauchern wie Wärmepumpen und Elektroautos Lastspitzen eingesenkt werden, erklärte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. "Dahinter verbirgt sich nichts anderes als die vorgesehene Spitzenglättung."
Die Grünen erklärten, der erste Entwurf des Netzentwicklungsplans könne nur das widerspiegeln, was die Bundesregierung vorgebe. "Beim Ausbau der erneuerbaren Energien ist das vor allem Mutlosigkeit", erklärte die Fraktionssprecherin für Energiewirtschaft, Ingrid Nestle.
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January 29, 2021 11:19 ET (16:19 GMT)
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