DJ IWH: Neue Infektionswelle unterbricht wirtschaftliche Erholung
Von Andreas Kißler
HALLE/BERLIN (Dow Jones)--Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) rechnet für 2021 mit einem Zuwachs des deutschen Bruttoinlandsproduktes (BIP) um 3,7 Prozent, nach einem Rückgang um 4,9 Prozent im Jahr 2020. Das gab das Institut in seiner Frühjahrsprognose bekannt. "Der Lockdown wird im März 2021 in Deutschland nur wenig zurückgenommen, und das Bruttoinlandsprodukt geht im ersten Quartal 2021 deutlich zurück", erklärten die Ökonomen. "Wenn mit Fortschreiten der Impfkampagne die Beschränkungen Schritt für Schritt aufgehoben werden, dürfte eine Normalisierung des Konsumverhaltens der privaten Haushalte die Konjunktur beflügeln."
Aufgrund des Lockdowns sei die Wertschöpfung im Dienstleistungsbereich Ende 2020 gesunken, in der Industrie und am Bau habe sie dagegen deutlich zugenommen. Ein Großteil der personennahen Dienstleistungen unterliege trotz der Anfang März beschlossenen Lockerungen weiterhin Beschränkungen. Mit Fortschreiten der Impfkampagne sei aber damit zu rechnen, dass die Lockdown-Maßnahmen Schritt für Schritt aufgehoben werden. "Für eine rasche Erholung der Nachfrage spricht, dass die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte, auch dank staatlicher Stützungsmaßnahmen, insgesamt stabil geblieben sind", sagte IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller.
Die exportorientierten Produzenten des verarbeitenden Gewerbes profitierten weiter von der Erholung der Weltwirtschaft. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt sei trotz der zweiten Welle der Corona-Pandemie recht robust, auch weil die Kurzarbeit weiter stabilisiere. Die Verbraucherpreise steigen laut der Prognose 2021 mit 1,9 Prozent wegen des teureren Erdöls, der Rücknahme der temporären Mehrwertsteuersenkung, des Emissionshandels für Verkehr und Wärme und des höheren Mindestlohns deutlich schneller als in den Jahren zuvor. Das gesamtstaatliche Finanzierungsdefizit dürfte im Jahr 2021 mit 4,4 BIP-Prozent nahezu auf dem Niveau des Vorjahres verharren.
Laut Holtemöller besteht das zentrale Risiko für die Konjunktur in Deutschland und in der Welt weiterhin im kaum vorhersehbaren Pandemiegeschehen. So sei ungewiss, ob die Impfstoffe gegen alle Virusvarianten gut wirksam seien. Speziell für Deutschland bestehe die Gefahr, dass die Anfang März beschlossenen Öffnungsschritte eine dritte Infektionswelle auslösten, auch weil ein systematisches Konzept zum Einsatz von Corona-Schnelltests etwa in Schulen zurzeit noch fehle. Ob eine weitere Lockdown-Runde gesellschaftlich durchgesetzt werden könnte, sei "zweifelhaft". Gewiss würde aber das wirtschaftliche Vertrauen unter einer weiteren Infektionswelle schwer leiden.
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March 11, 2021 06:00 ET (11:00 GMT)
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