BERLIN (dpa-AFX) - In der EU werden bis zur Jahresmitte deutlich weniger Dosen des Corona-Impfstoffs des Herstellers Astrazeneca geliefert als angekündigt. Thüringen hat deshalb die Terminvergabe für Impfungen gestoppt und den geplanten Start von Impfungen bei Hausärzten verschoben. Das Robert Koch-Institut (RKI) prognostiziert in der Woche nach Ostern höhere Neuinfektionszahlen als rund um Weihnachten. Die Inzidenz könnte bei 350 liegen. Grund hierfür sei unter anderem die sich rasch ausbreitende Corona-Mutante B.1.1.7, die erstmals in Großbritannien nachgewiesen wurde.
Demnach zeigt sich bei der Variante B.1.1.7 ein exponentiell ansteigender Trend der Sieben-Tage-Inzidenz seit der zweiten Kalenderwoche. Alle zwölf Tage habe sich diese verdoppelt. Demgegenüber zeige der Verlauf bei allen übrigen Varianten einen Rückgang um etwa 19 Prozent pro Woche. Diese beiden Trends würden sich zurzeit noch überlagern, was insgesamt zu der nur langsam ansteigenden Sieben-Tage-Inzidenz der vergangenen vier Wochen geführt habe, heißt es im RKI-Lagebericht vom Freitagabend.
Einen Rückschlag gibt es bei der Versorgung mit Corona-Impfstoffen: Das Pharmaunternehmen Astrazeneca hat am Freitagabend mitgeteilt, dass anstatt der zuletzt anvisierten 220 Millionen Dosen nur noch 100 Millionen bis zur Jahresmitte an die EU-Staaten gehen werden. Der deutsche Anteil daran liegt rechnerisch bei etwa 19 Millionen. Der Konzern begründete dies unter anderem mit Exportbeschränkungen, ohne Details zu nennen.
Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums sagte am Samstag der Deutschen Presse-Agentur: "Wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten auch wird Deutschland im März vorübergehend deutlich weniger Impfstoff von Astrazeneca bekommen als geplant." Nach den neuesten Daten, die das Unternehmen Freitagnachmittag der EU-Kommission übermittelt habe, sollen die Lieferschwankungen nach Auskunft des Impfstoffherstellers bis Ende März aber wieder ausgeglichen sein, so der Sprecher. Es sei generell schwierig, verlässliche Angaben über die Liefermengen von Astrazeneca zu bekommen. Im Gegensatz zu Biontech würden diese häufig abweichen von den Ankündigungen.
Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) bezeichnete die angekündigte Lieferkürzung als "absolut inakzeptabel", wie ihr Ministerium am Samstag mitteilte. Werner kritisierte zudem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der die Länder im Februar aufgefordert habe, keine Astrazeneca-Impfstoffdosen zurückzuhalten, weil die Liefermengen sicher seien. "Genau das haben wir getan und jede einzelne Impfdosis verplant. Jetzt zwingt uns die Ankündigung aus dem Bundesgesundheitsministerium zu einem Stopp unserer Terminvergabe und zur Verschiebung der Einbindung der Hausärzte", sagte Werner. Dies sei mehr als ärgerlich.
Der neu zugelassene Impfstoff von Johnson & Johnson kommt nach Erwartung von Bundesgesundheitsminister Spahn erst Mitte oder Ende April. Hintergrund sind nach Angaben aus EU-Kreisen unter anderem Zweifel an der Exportpolitik der USA. Das Weiße Haus betont zwar, es gebe kein Exportverbot; Priorität sei aber, zuerst die US-Bevölkerung zu impfen. Die EU-Kommission hat von den vier in der EU zugelassenen Corona-Impfstoffen insgesamt mindestens 1,4 Milliarden Dosen geordert - eigentlich mehr als genug für die rund 450 Millionen Europäer.
Unterdessen steigt die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Deutschland weiter an. Die Gesundheitsämter in Deutschland haben am Samstag dem RKI binnen eines Tages 12 674 Corona-Neuinfektionen gemeldet - und damit 3117 mehr als vor genau einer Woche. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag am Samstagmorgen mit 76,1 deutlich höher als am Vortag (72,4). Zudem wurden innerhalb von 24 Stunden 239 weitere Todesfälle verzeichnet.
Die Brandenburger Landesregierung hat den Landkreis Elbe-Elster auf die geltende Regelung für zusätzliche Corona-Schutzmaßnahmen ab einem Sieben-Tage-Inzidenz-Wert von 100 aufmerksam gemacht. Damit reagierte sie darauf, dass der Kreis trotz eines Wertes neuer Infektionen pro 100 000 Einwohner in einer Woche über 100 keine zusätzlichen Corona-Maßnahmen einführen will. Landrat Christian Heinrich-Jaschinski (CDU) hatte gesagt, wenn die geltenden Regelungen beachtet werden, bedürfe es keiner neuen Einschränkungen. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz lag dort am Samstag bei 156.
Angesichts der steigenden Infektionszahlen wird auch in Nordrhein-Westfalen über die eigentlich vorgesehene "Notbremse" diskutiert. Zunächst sei zu prüfen, welche Umstände zu der Überschreitung geführt hätten, sagte ein Sprecher von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) der "Westdeutschen Allgemeinen Zeitung" (WAZ/Samstag). "Wenn alleine durch die vielen zusätzlichen Testungen bei einem ansonsten stabilen Infektionsgeschehen die Zahlen steigen, muss man das bei den weiteren Bewertungen mit einbeziehen."
FDP-Chef Christian Lindner forderte die Bundesregierung auf, den Bürgern eine Garantie für eine Corona-Erstimpfung bis zum Beginn der Sommerferien zu geben. Dazu müsse es beim Impfgipfel von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Landesregierungschefs am kommenden Mittwoch aber handfeste Ergebnisse geben. "Insbesondere erwarte ich, dass schneller über Haus-, Fach- und Betriebsärzte geimpft wird", sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur. Merkel hatte davon gesprochen, dass allen Erwachsenen bis zum kalendarischen Sommerende am 21. September ein Impfangebot gemacht werden solle. Die Sommerferien beginnen je nach Bundesland unterschiedlich, die ersten am 21. Juni./nku/DP/mis