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BERLIN (dpa-AFX) - Nach den beiden Landtagswahlen vom Sonntag gehen die Koalitionspartner im Bund spürbar auf Distanz zueinander und schalten ein gutes halbes Jahr vor der Entscheidung im Bund auf Wahlkampf um. Führende Politiker der in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stark gebeutelten Union attackierten am Montag die SPD. Diese gab wiederum das Ziel aus, nun auch bei der Bundestagswahl im September für eine Ampel-Koalition zu kämpfen. In Rheinland-Pfalz beschloss die SPD, Grüne und FDP zu Sondierungsgesprächen einzuladen. Ein solches Bündnis ist auch in Baden-Württemberg möglich, wo die Grünen mit einem bundesweiten Rekordergebnis gewonnen haben.
Trotz der Niederlagen halten CDU und CSU an ihrem Fahrplan zur Bestimmung ihres Kanzlerkandidaten fest. Eine Kabinettsumbildung in Berlin ist laut Regierungssprecher Steffen Seibert kein Thema.
Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet forderte die SPD zu mehr Disziplin im Kabinett auf und kritisierte insbesondere Finanzminister Olaf Scholz für dessen Ankündigung von bis zu zehn Millionen Impfungen gegen Corona pro Woche. "Jeder Minister sollte sein Ressort gut bearbeiten, aber sich nicht an anderen abarbeiten, die einen schwierigen Job in dieser Zeit zu leisten haben", sagte Laschet in Berlin nach Beratungen der CDU-Führungsgremien. Natürlich sei Wahlkampf. Aber die Menschen erwarteten in der Pandemie, dass das Gemeinwohl im Vordergrund stehe "und nicht parteipolitische Sperenzchen".
CSU-Generalsekretär Markus Blume sagte nach einer Schaltkonferenz des CSU-Vorstands in München: "Es wäre gut, wenn sich die SPD stärker auf die Regierungsarbeit konzentriert. Ich habe den Eindruck, an den meisten Tagen, man hat innerlich schon die Koalition aufgekündigt."
SPD-Chef Norbert Walter-Borjans zog im Deutschlandfunk aus den Wahlergebnissen den Schluss: "Es gibt Mehrheiten diesseits von CDU und CSU, und es gibt auch gute Chancen für Olaf Scholz, der Kandidat der stärksten dieser Parteien zu sein." SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil betonte im Bayerischen Rundfunk: "Die Ampel ist möglich, und dafür kämpfen wir jetzt." Scholz analysierte: "Das Wahlergebnis, ganz besonders natürlich das in Rheinland-Pfalz, verleiht der Sozialdemokratischen Partei insgesamt Flügel." Die SPD wolle den Aufwind jetzt nutzen.
FDP und Grüne wiesen Koalitionsspekulationen zum derzeitigen Zeitpunkt zurück. Dazu sei es viel zu früh, sagte FDP-Chef Christian Lindner. "Für uns ist entscheidend, welche Inhalte zusammenpassen." Seine Partei wolle nicht spielerisch über Farbenlehren sprechen. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hält es ebenfalls für unmöglich, schon jetzt Schlüsse für mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl im September zu ziehen. "Es ist ein völlig offenes Jahr", sagte er in Berlin. Die Co-Vorsitzende Annalena Baerbock betonte aber, dass sich die Grünen durch den Erfolg in Baden-Württemberg auch in ihren Ambitionen im Bund bestätigt sähen: "Was in der Herzkammer der deutschen Industrie möglich ist, das kann auch im Bund möglich sein."
In Baden-Württemberg errangen die Grünen mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann laut vorläufigem Ergebnis ein bundesweites Rekordergebnis von 32,6 Prozent (2016: 30,3). Die bisher mitregierende CDU stürzte in ihrer einstigen Hochburg auf 24,1 Prozent (27,0). Die SPD landete bei 11 Prozent (12,7), die FDP bei 10,5 (8,3) und die AfD bei 9,7 Prozent (15,1).
In Rheinland-Pfalz gewann die SPD mit der populären Regierungschefin Malu Dreyer nach dem vorläufigen Ergebnis 35,7 Prozent der Stimmen (2016: 36,2). Die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Christian Baldauf rutschte auf 27,7 Prozent (31,8) ab. Es folgten Grüne mit 9,3 Prozent (5,3), AfD mit 8,3 (12,6) und die FDP mit 5,5 Prozent (6,2). Neu in den Landtag einziehen werden die Freien Wähler mit 5,4 Prozent (2,2).
In Baden-Württemberg könnte Kretschmann die schwarz-grüne Koalition weiterführen oder eine Ampel-Bündnis bilden. In Rheinland-Pfalz strebt Dreyer zwar die Fortsetzung der Ampel an. Umfragen zufolge würde es im Bund momentan aber nicht für eine Ampel reichen.
Nach den historisch schlechten CDU-Ergebnissen in beiden Ländern rief der Vorsitzende Laschet seine Partei zu einer Kraftanstrengung auf. Es sei nicht gottgegeben, dass die CDU nach der Wahl im Herbst wieder den Kanzler stellen werde, sagte er nach Informationen der dpa von Teilnehmern in einer digitalen Vorstandssitzung seiner Partei. In der ZDF-Sendung "Was nun, Herr Laschet?" sagte er am Abend: "Ich weiß nicht, ob allen klar war, dass diese Bundestagswahl nicht automatisch gewonnen ist und mit irgendeinem aus der Union als Kanzler endet." Nun sei jedem klar: "Wir müssen kämpfen!" Bayerns Ministerpräsident Söder sagte in München: "Die Wahlen gestern waren ein schwerer Schlag in das Herz der Union".
Laschet wies Spekulationen zurück, die Union könnte vor der Wahl noch einige besonders in der Kritik stehende Minister austauschen: "Eine Kabinettsumbildung ist nicht erforderlich." Ähnlich äußerte sich Regierungssprecher Steffen Seibert: "Die Bundesregierung beabsichtigt keine Kabinettsumbildung." Auch Söder befand: "Ich glaube nicht, dass eine Einigung, eine hektische Kabinettsumbildung Berlin jetzt irgendetwas bringt.
Auch an ihrem Zeitplan, den Kanzlerkandidaten zwischen Ostern und Pfingsten zu bestimmen, wollen CDU und CSU nicht rütteln. "Zwischen Ostern und Pfingsten heißt aber nicht Pfingstsonntag abends. Das könnte theoretisch Ostermontag morgens sein. Oder dienstags oder mittwochs oder donnerstags", sagte Laschet und ergänzte später im ZDF: "Es kann auch sehr schnell nach Ostern sein."
Der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen will trotz der Verluste seiner Partei in beiden Ländern an seinem Kurs festhalten. "Es muss eine klare Richtungsentscheidung sein", sagte der Parteichef, der für einige Vertreter des vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestuften "Flügels" der AfD inzwischen ein rotes Tuch ist. Er stehe für einen "bürgerlich-freiheitlich-konservativen" Kurs.
Die Linke, die den Einzug in beide Landesparlamente verpasste, sieht dennoch Rückenwind für sich im Bund. Die Vorsitzende Susanne Hennig-Wellsow sagte im Fernsehsender Phoenix, es gebe endlich eine tatsächliche Option, die CDU aus der Bundesregierung abzuwählen. "Dass die CDU sich selbst zerstört, spielt uns ja auch in die Hände."/sk/DP/fba