WALLDORF (dpa-AFX) - Europas größter Softwarehersteller SAP hat ein schwieriges Terrain vor sich: Vorstandschef Christian Klein muss verlorenen Boden beim Anlegervertrauen gut machen - und das mitten in der Pandemie. Doch SAP kam im ersten Quartal erstaunlich gut mit dem Umfeld zurecht. Können die Walldorfer schneller in die Spur finden als gedacht? Details zum Jahresauftakt legt das Dax-Schwergewicht an diesem Donnerstag (22. April) vor.
DAS IST LOS BEI SAP:
Klein hatte sich vor rund einem halben Jahr dazu entschieden, die ambitionierten Mittelfristziele seines Vorgängers Bill McDermott wegen der Pandemie und vor allem wegen höherer Investitionen in die Cloudsparte einzustampfen. Der 40-Jährige will in der Krise schlagkräftig sein und ist bereit, im Wettbewerb um die Kunden mehr Geld auszugeben. An der Börse verschreckte dieser Schritt allerdings die Investoren, die bei dem Weltmarktführer für Software zur Unternehmenssteuerung seit Jahren auf höhere Margen drängen.
Für dieses und das kommende Jahr hatte Küchenmeister Klein eigentlich schmale Kost in Aussicht gestellt. Doch das erste Quartal 2021 fiel überraschend gut aus. Das bereinigte Betriebsergebnis stieg im Vorjahresvergleich um 17 Prozent auf 1,74 Milliarden Euro. Währungsbereinigt war das sogar ein Plus von 24 Prozent - wo der Konzern für das Gesamtjahr hier doch einen Rückgang von zwischen einem und sechs Prozent prognostiziert hat. Doch: Vor einem Jahr hatten sich bei SAP bereits die ersten Kratzer der Covid-19-Pandemie gezeigt. Zudem ist das erste Vierteljahr üblicherweise der schwächste und unbedeutendste Dreimonatszeitraum im Kalenderjahr.
Daher hielt das Management auch an seinem Ausblick für das operative Ergebnis fest. Allerdings ist Klein mit Blick auf die Cloud-Geschäfte besserer Dinge. Daher hob das Unternehmen das untere Ende der Bandbreite für die Erlöse in dieser Sparte um 100 Millionen Euro an.
Das mag dem jüngsten Dax-Chef ohnehin derzeit eher in den Kram passen als zu hohe Erwartungen an die Gewinne. Klein hat sich strategisch auf die Fahnen geschrieben, den Flickenteppich der vielen SAP-Programme für die Kunden besser zu integrieren und den Umstieg auf die Cloudversionen der Software zu vereinfachen. Das so eingeworbene Neugeschäft soll in den Jahren 2023 bis 2025 auch für entsprechenden Schwung beim Ergebnis sorgen.
Klein verwies daher auf einen starken Start des neuen Programmbündels "Rise with SAP", das er im Januar ins Leben gerufen hatte. Es soll verschiedene Angebote besser miteinander verzahnen. Kernelemente sind unter anderem die SAP-Kernbetriebssoftware S4 Hana und Anwendungen zur Analyse von Unternehmensabläufen. Dazu hatte SAP auch den Berliner Softwareanbieter Signavio übernommen. Die neuen Vertragsabschlüsse für das Cloudgeschäft aus dem ersten Quartal sollen das Wachstum künftig beschleunigen.
Dies ist zumindest der Plan von Klein und seinem Finanzchef Luka Mucic. Die Corona-Krise könnte sich aber immer noch als Stolperstein erweisen. Der Ausblick der Walldorfer basiert weiterhin auf der Annahme, dass die Pandemie langsam abklingt und dass sich die weltweite Nachfrage im zweiten Halbjahr allmählich verbessert.
In den kommenden Jahren wird sich dann auch entscheiden, wer in der Branche für Unternehmenssoftware künftig der Platzhirsch sein wird. 2025 will SAP mehr als 36 Milliarden Euro Erlös erzielen, über 22 Milliarden davon aus der Cloud. Ob das dann noch für die Spitze bei Unternehmenssoftware reicht, ist fraglich: Der große US-Rivale Salesforce will im Geschäftsjahr 2025/26 (Ende Januar) mehr als 50 Milliarden Dollar (heute 42 Mrd Euro) Umsatz machen.
Ende Januar hat SAP mit dem Börsengang der US-Marktforschungstochter Qualtrics einen weiteren von Klein eingeleiteten strategischen Schwenk vollzogen. So richtig ins SAP-Portfolio zu integrieren war Qualtrics nämlich offenbar nicht: Kurzerhand entschieden sich Klein und Qualtrics-Chef Ryan Smith, auf mehr Selbstständigkeit zu setzen.
SAP hat mit dem Anteilsverkauf von Qualtrics nach Angaben von Mucic rund 2,4 Milliarden US-Dollar (2 Mrd Euro) Erlös erzielt. 500 Millionen Dollar davon wurden Qualtrics demnach als Liquidität zur Verfügung gestellt, rund 1,9 Milliarden flossen nach Walldorf. SAP hält noch 83 Prozent der Anteile an Qualtrics.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Entgegen dem Unternehmen rechnet UBS-Analyst Michael Briest im Geschäft mit herkömmlichen Softwarelizenzen über das Jahr weiterhin mit einem überdurchschnittlichen Abschneiden, während SAP selbst einen Rückgang zugunsten der Cloud-Abos angekündigt hat. Das Cloud-Bündelangebot "Rise" müsse bei den Kunden wohl erst noch Gefallen finden, schreibt Briest. Dies sei angesichts des Starts erst im Januar aber verständlich. Die Umsatzprognose für die Cloudsparte liegt dem Experten zufolge nach den jüngsten Auftragseingängen schon in guter Reichweite.
JPMorgan-Analystin Stacy Pollard attestierte dem Konzern ebenfalls ein gutes Abschneiden zum Jahresstart, auch im Lizenzgeschäft. Doch sei der Zuwachs in diesem Bereich auch vor dem scharfen Rückgang im ersten Quartal des Vorjahres zu sehen. Dass die Aufträge in der Cloud wieder Fahrt aufgenommen haben, dürfte nach dem schwächeren Vorquartal eine Erleichterung für die Anleger sein, schreibt sie. Das operative Ergebnis habe unter anderem von nach wie vor niedrigen Reisekosten profitiert. Anleger dürften beim detaillierten Zahlenwerk diese Woche insbesondere auf die angekündigten neuen Kennzahlen zum Cloudwachstum achten.
Von den 14 im dpa-AFX-Analyser erfassten Expertinnen und Experten, die sich in diesem Jahr zur SAP-Aktie geäußert haben, raten zehn zum Kauf und vier zum Halten der Papiere. Ihr durchschnittliches Kursziel liegt bei gut 126 Euro und damit auf dem Niveau des aktuellen Kurses.
SO LÄUFT DIE AKTIE:
Nach längerer Zeit an der Dax-Spitze in puncto Marktkapitalisierung hatte die Renaissance der Volkswagen-Aktie zwischenzeitlich den SAP-Titel auf den zweiten Platz verwiesen. Doch die SAP-Aktie berappelte sich zusehends - wenn auch in gemächlichem Tempo - von dem schweren Schock, den Klein dem Papier im Oktober mit den kassierten Mittelfristzielen für die Marge versetzte.
Damals sackte die SAP-Aktie von knapp 125 Euro an einem Tag um mehr als ein Fünftel ab. Der Konzern verlor so rund 33,7 Milliarden Euro an Marktwert. Mittlerweile hat sich der Kurs wieder bis auf rund 115 Euro nach oben gekämpft. Bis zum Rekordhoch von 143,32 Euro aus dem vergangenen September ist es aber noch ein ganzes Stück.
Aktuell ringen die Walldorfer mit einem Marktwert von fast 142 Milliarden Euro in einem Zweikampf mit den Wolfsburgern von VW (gut 132 Mrd Euro) um den Titel als wertvollster börsennotierter Konzern Deutschlands.
McDermott hatte in seiner Amtszeit von Februar 2010 bis Oktober 2019 (bis Mai 2014 als Co-Chef, danach allein) den Aktienkurs von knapp über 30 Euro auf rund 115 Euro nach oben gebracht und noch deutlich mehr in Aussicht gestellt. Klein muss sich bei den Investoren zunächst das Vertrauen erarbeiten, dass seine Pläne Wirkung zeigen, bevor er größeres in Angriff nehmen kann.
Größte Aktionäre von SAP sind noch immer die Mitgründer, Aufsichtsratschef Hasso Plattner und der als Biotech-Investor und Fußball-Mäzen bekannte Dietmar Hopp. Plattner hält knapp sechs Prozent der Anteile und Hopp rund fünf Prozent. Beide zählen wegen des Erfolgs des 1972 gegründeten Unternehmens zu den reichsten Deutschen./men/stw/mis