Erfurt (ots) - Ralf Fischers Leidenschaft für Brunnenkresse
Im Winter juckt es in den Händen von Ralf Fischer. In diesem Jahr noch mehr als sonst, denn was er im Dezember bereits unter der flachen Wasseroberfläche gesehen hat, das beflügelt Herz und Seele des letzter Erwerbsgärtners, der noch auf traditionelle Art und Weise in Erfurt Brunnenkresse anbaut. Der sandige Boden in seiner kleinen Kresseklinge ist flächig grün und leuchtet ihm zart entgegen. Beste Aussichten für eine gute Ernte. Die Saison kann beginnen, und diese Saison wird eine besondere werden. Denn 2021 wird die Dom- und Universitätsstadt Erfurt zum Austragungsort der Bundesgartenschau, kurz BUGA, und damit auch zur Brunnenkressestadt. Das gesunde Kraut hat Tradition. Die kleine Kresseklinge von Ralf Fischer ist kein gewöhnlicher Arbeitsort, sie ist ein Denkmal für die lange Gartenbaugeschichte der Stadt.
Seit 1630 wird nachweislich Brunnenkresse angebaut. Was mit wild wachsenden Pflanzen in den Bach- und Flussläufen der Dreienbrunnenquellen beginnt, wird über die Jahrzehnte immer gewerblicher. Christian Reichart (1685-1775), der Universalgelehrte und Begründer des Gartenbaus in Deutschland, ist es dann, der das Anbausystem in sogenannten Klingen perfektioniert, künstlich angelegte Wasserläufe mit einem kaum spürbaren, aber für die Pflanzen so wichtigen Gefälle. Nur so kann das Wasser ohne Temperaturverlust durch die Anlage strömen. Als Sohn einer bekannten Erfurter Familie etabliert Reichart ab 1740 ein geordnetes und zudem recht ertragreiches Anbausystem aus einer Kombination aus Klingen für den Anbau von Brunnenkresse und Dämmen, sogenannten Jähnen, für andere Gemüsesorten. Damit gibt es mehr Ertrag auf den Flächen und Feldern vor den Toren der Stadt.
Die würzige Kresse hat dann Jahrzehnte später seinen vielleicht wichtigsten Fürsprecher. Kein geringer als Kaiser Napoleon Bonaparte ist bei seinem Erfurter Aufenthalt 1808 so angetan von dem Kraut, dass er kurzerhand zwei Gärtner nach Versailles mitnimmt, um dort Brunnenkresse nach Erfurter Vorbild anzubauen. "Das erklärt vielleicht auch, warum Napoleon immer seine rechte Hand unter der Weste versteckte", sagt Ralf Fischer lächelnd. "Dort hielt er wahrscheinlich die bekömmliche und begehrte Erfurter Brunnenkresse in seiner Hand."
Auch 150 Jahre später ist das Gemüse beliebt. Lediglich die Anbaumethode wird noch einmal verfeinert. Die pflegeaufwändigen Jähnen werden aufgelöst. So bekommen die Kresseklingen immer mehr Bedeutung. Aus vielen einzelnen entstehen nun große Wasserflächen. Hölzerne Laufstege in Abständen von drei Metern machen die Ernte möglich, die sich so noch einmal deutlich steigern lässt. "In den 1960er Jahren war die Anbaufläche in Erfurt rund 20.000 Quadratmeter groß", erzählt Ralf Fischer. "Bis zu 44 Tonnen wurden damals pro Saison geerntet. Es war der Höhepunkt, Brunnenkresse ein rentables Gemüse. Es wurde selbst in der Pharmazie erfolgreich eingesetzt." Mit der Verstaatlichung vieler Betriebe und dem Weggang von Ralf Fischers Vater Mitte der 1970er Jahre endet Schritt für Schritt der Anbau. Das Jahr 1976 gilt als der Schlusspunkt. Viele der über 50 Klingen werden zugeschüttet, andere liegen bis heute brach.
Dass es die grüne Spezialität wieder gibt, verdankt die Stadt Erfurt der Initiative von Ralf Fischer, der nach der Rückübertragung der Fläche ab 1994 eine historische Klinge mit viel Aufwand rekonstruiert und anfängt, das Quellwasser mit Nasturtium officinale, dem botanischen Namen der Brunnenkresse, zu beleben. Der gelernte Elektriker erfüllt damit vor allem seinem Vater und seiner Großmutter einen Traum. Für seine Großeltern aber auch seine Eltern Fritz und Johanna gibt es zu ihren Zeiten noch andere Gemüse- oder Obstsorten, aber die Brunnenkresse mit ihrer Würzigkeit, Schärfe und den vielen Vitaminen ist allen eine Herzensangelegenheit. Bis heute wird in Thüringen neben Erfurt auch in der Region Eisenach Brunnenkresse angebaut.
Das Ernten der Brunnenkresse ist seit jeher ein Balanceakt. Sobald Ralf Fischer seine kleine Brunnenkresse-Anlage betritt, wird er zum Akrobaten, der auf den rutschigen und wackeligen Holzplanken unterwegs ist. Am Ziel angekommen, wird es nicht besser. Zentimeter für Zentimeter schiebt und rutscht er sich kniend über die Bretter und erntet mit scharfem Messer und routinierten Bewegungen Kressebüschel für Kressebüschel. So hängt er minutenlang über dem Wasser und füllt seinen Weidenkorb mit dem Superfood. Das Wintergemüse hat einen sehr hohen Vitamin C-Gehalt. Außerdem ist es reich an Eisen, Phosphor, Jod und sogar Kalzium. Der Anteil an Senfölen hemmt zudem Bakterien und Viren. Brunnenkresse ist eine wahre Power-Pflanze und gilt als eine der gesündesten Gemüsesorten der Welt. Die Würze und Schärfe im Geschmack erinnert an Rettich oder Radieschen, mit denen das Kreuzblütengewächs verwandt ist. In Erfurter Mundart wird sie Braunkärsch genannt, andere Namen sind je nach Region Bachbitterkraut, Bornkersch oder Wassersenf.
In Erfurt ist Ralf Fischer lange Zeit der Letzte seiner Zunft gewesen und hat mit viel Leidenschaft und manchem Rückschlag ein Stück bedeutende Gartenbautradition der Stadt am Leben erhalten. Seit dem vergangenen Jahr versucht sich eine Hobbygärtnerin daran, eine zweite Klinge direkt neben dem Gelände von Ralf Fischer zu restaurieren. Eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne hat gezeigt, dass das Kult-Gemüse vielen Erfurtern an Herz gewachsen ist. Auch ein Gärtnereibetrieb im Norden Erfurts belebt die Renaissance des Anbaus auf neue Art und will ganzjährig den Verkauf von Brunnenkresse möglich machen.
2021 wird die Brunnenkresse deshalb ein wichtiges BUGA-Thema, mit dem keine vorherige Schau aufwarten konnte. Über 400 Jahre alt ist die Geschichte des Kult-Gemüses und dass es ausgerechnet 2021 eine große Renaissance erlebt, freut niemanden mehr als Ralf Fischer. Er wird Führungen durch seine Klinge anbieten und will Besucher auch durch die kleine Ausstellung auf seinem Hof führen, in der man Einblicke in die Familiengeschichte bekommt. Die Brunnenkresse hat eben nicht nur Vergangenheit, sondern wird auch in Zukunft als regionale Delikatesse die Menschen begeistern.
Jens Haentzschel
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Im Winter juckt es in den Händen von Ralf Fischer. In diesem Jahr noch mehr als sonst, denn was er im Dezember bereits unter der flachen Wasseroberfläche gesehen hat, das beflügelt Herz und Seele des letzter Erwerbsgärtners, der noch auf traditionelle Art und Weise in Erfurt Brunnenkresse anbaut. Der sandige Boden in seiner kleinen Kresseklinge ist flächig grün und leuchtet ihm zart entgegen. Beste Aussichten für eine gute Ernte. Die Saison kann beginnen, und diese Saison wird eine besondere werden. Denn 2021 wird die Dom- und Universitätsstadt Erfurt zum Austragungsort der Bundesgartenschau, kurz BUGA, und damit auch zur Brunnenkressestadt. Das gesunde Kraut hat Tradition. Die kleine Kresseklinge von Ralf Fischer ist kein gewöhnlicher Arbeitsort, sie ist ein Denkmal für die lange Gartenbaugeschichte der Stadt.
Seit 1630 wird nachweislich Brunnenkresse angebaut. Was mit wild wachsenden Pflanzen in den Bach- und Flussläufen der Dreienbrunnenquellen beginnt, wird über die Jahrzehnte immer gewerblicher. Christian Reichart (1685-1775), der Universalgelehrte und Begründer des Gartenbaus in Deutschland, ist es dann, der das Anbausystem in sogenannten Klingen perfektioniert, künstlich angelegte Wasserläufe mit einem kaum spürbaren, aber für die Pflanzen so wichtigen Gefälle. Nur so kann das Wasser ohne Temperaturverlust durch die Anlage strömen. Als Sohn einer bekannten Erfurter Familie etabliert Reichart ab 1740 ein geordnetes und zudem recht ertragreiches Anbausystem aus einer Kombination aus Klingen für den Anbau von Brunnenkresse und Dämmen, sogenannten Jähnen, für andere Gemüsesorten. Damit gibt es mehr Ertrag auf den Flächen und Feldern vor den Toren der Stadt.
Die würzige Kresse hat dann Jahrzehnte später seinen vielleicht wichtigsten Fürsprecher. Kein geringer als Kaiser Napoleon Bonaparte ist bei seinem Erfurter Aufenthalt 1808 so angetan von dem Kraut, dass er kurzerhand zwei Gärtner nach Versailles mitnimmt, um dort Brunnenkresse nach Erfurter Vorbild anzubauen. "Das erklärt vielleicht auch, warum Napoleon immer seine rechte Hand unter der Weste versteckte", sagt Ralf Fischer lächelnd. "Dort hielt er wahrscheinlich die bekömmliche und begehrte Erfurter Brunnenkresse in seiner Hand."
Auch 150 Jahre später ist das Gemüse beliebt. Lediglich die Anbaumethode wird noch einmal verfeinert. Die pflegeaufwändigen Jähnen werden aufgelöst. So bekommen die Kresseklingen immer mehr Bedeutung. Aus vielen einzelnen entstehen nun große Wasserflächen. Hölzerne Laufstege in Abständen von drei Metern machen die Ernte möglich, die sich so noch einmal deutlich steigern lässt. "In den 1960er Jahren war die Anbaufläche in Erfurt rund 20.000 Quadratmeter groß", erzählt Ralf Fischer. "Bis zu 44 Tonnen wurden damals pro Saison geerntet. Es war der Höhepunkt, Brunnenkresse ein rentables Gemüse. Es wurde selbst in der Pharmazie erfolgreich eingesetzt." Mit der Verstaatlichung vieler Betriebe und dem Weggang von Ralf Fischers Vater Mitte der 1970er Jahre endet Schritt für Schritt der Anbau. Das Jahr 1976 gilt als der Schlusspunkt. Viele der über 50 Klingen werden zugeschüttet, andere liegen bis heute brach.
Dass es die grüne Spezialität wieder gibt, verdankt die Stadt Erfurt der Initiative von Ralf Fischer, der nach der Rückübertragung der Fläche ab 1994 eine historische Klinge mit viel Aufwand rekonstruiert und anfängt, das Quellwasser mit Nasturtium officinale, dem botanischen Namen der Brunnenkresse, zu beleben. Der gelernte Elektriker erfüllt damit vor allem seinem Vater und seiner Großmutter einen Traum. Für seine Großeltern aber auch seine Eltern Fritz und Johanna gibt es zu ihren Zeiten noch andere Gemüse- oder Obstsorten, aber die Brunnenkresse mit ihrer Würzigkeit, Schärfe und den vielen Vitaminen ist allen eine Herzensangelegenheit. Bis heute wird in Thüringen neben Erfurt auch in der Region Eisenach Brunnenkresse angebaut.
Das Ernten der Brunnenkresse ist seit jeher ein Balanceakt. Sobald Ralf Fischer seine kleine Brunnenkresse-Anlage betritt, wird er zum Akrobaten, der auf den rutschigen und wackeligen Holzplanken unterwegs ist. Am Ziel angekommen, wird es nicht besser. Zentimeter für Zentimeter schiebt und rutscht er sich kniend über die Bretter und erntet mit scharfem Messer und routinierten Bewegungen Kressebüschel für Kressebüschel. So hängt er minutenlang über dem Wasser und füllt seinen Weidenkorb mit dem Superfood. Das Wintergemüse hat einen sehr hohen Vitamin C-Gehalt. Außerdem ist es reich an Eisen, Phosphor, Jod und sogar Kalzium. Der Anteil an Senfölen hemmt zudem Bakterien und Viren. Brunnenkresse ist eine wahre Power-Pflanze und gilt als eine der gesündesten Gemüsesorten der Welt. Die Würze und Schärfe im Geschmack erinnert an Rettich oder Radieschen, mit denen das Kreuzblütengewächs verwandt ist. In Erfurter Mundart wird sie Braunkärsch genannt, andere Namen sind je nach Region Bachbitterkraut, Bornkersch oder Wassersenf.
In Erfurt ist Ralf Fischer lange Zeit der Letzte seiner Zunft gewesen und hat mit viel Leidenschaft und manchem Rückschlag ein Stück bedeutende Gartenbautradition der Stadt am Leben erhalten. Seit dem vergangenen Jahr versucht sich eine Hobbygärtnerin daran, eine zweite Klinge direkt neben dem Gelände von Ralf Fischer zu restaurieren. Eine erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne hat gezeigt, dass das Kult-Gemüse vielen Erfurtern an Herz gewachsen ist. Auch ein Gärtnereibetrieb im Norden Erfurts belebt die Renaissance des Anbaus auf neue Art und will ganzjährig den Verkauf von Brunnenkresse möglich machen.
2021 wird die Brunnenkresse deshalb ein wichtiges BUGA-Thema, mit dem keine vorherige Schau aufwarten konnte. Über 400 Jahre alt ist die Geschichte des Kult-Gemüses und dass es ausgerechnet 2021 eine große Renaissance erlebt, freut niemanden mehr als Ralf Fischer. Er wird Führungen durch seine Klinge anbieten und will Besucher auch durch die kleine Ausstellung auf seinem Hof führen, in der man Einblicke in die Familiengeschichte bekommt. Die Brunnenkresse hat eben nicht nur Vergangenheit, sondern wird auch in Zukunft als regionale Delikatesse die Menschen begeistern.
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