PEKING (dpa-AFX) - Nach Jahrzehnten der Ein-Kind-Politik hat China mit einer rapide alternden Gesellschaft und einem massiven Rückgang der Geburten zu kämpfen. Jetzt droht das bevölkerungsreichste Land auch noch zu schrumpfen. Schon in den vergangenen zehn Jahren ist Chinas Bevölkerung nur noch um jährlich 0,53 Prozent auf 1,41178 Milliarden Menschen gewachsen - so langsam wie seit Jahrzehnten nicht mehr.
Wie die Volkszählung weiter ergab, schreitet die Überalterung des Milliardenvolkes unaufhaltsam voran: Die Zahl der Chinesen über 60 Jahre ist seit 2010 um 5,44 Prozent auf 264 Millionen gestiegen, wie das Statistikamt in Peking am Dienstag berichtete. Knapp jeder fünfte Chinese (18,7 Prozent) ist heute schon älter als 60 Jahre, während die Bevölkerungsgruppe im arbeitsfähigen Alter weiter zurückgeht.
Die Gruppe zwischen 15 und 59 Jahren verkleinerte sich derweil um 6,79 Prozentpunkte auf einen Anteil von 63 Prozent. "Die weitere Alterung der Bevölkerung setzt langfristig die ausgewogene Entwicklung weiter unter Druck", sagte der Direktor des Statistikamtes, Ning Jizhe. Experten warnen, dass die demografische Entwicklung die zweitgrößte Volkswirtschaft bremsen wird.
Das Statistikamt, das die Veröffentlichung der Volkszählung zuvor wiederholt verschoben hatte, wies Berichte zurück, dass die Bevölkerung bereits 2020 zurückgegangen sei - erstmals seit fast sechs Jahrzehnten. Experten erwarten aber "in diesem oder dem nächsten Jahr" einen Rückgang, wie Staatsmedien berichteten.
Als Grund wird der massive Geburtenrückgang genannt, der als "alarmierend" beschrieben wird. Das vierte Jahr in Folge fiel im vergangenen Jahr die Zahl der Geburten - um 18 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf zwölf Millionen, wie das Statistikamt berichtete.
Die jetzt genannte Zahl der Geburten ist auffallend höher als im Februar vom Ministerium für öffentliche Sicherheit mit 10,04 Millionen berichtet. Da in China rund zehn Millionen Menschen im Jahr sterben, deutet der stetige Geburtenrückgang in Richtung Null-Wachstum oder Bevölkerungsrückgang. Auch fiel die Fruchtbarkeitsrate laut Statistikamt auf 1,3 Kinder pro Frau - deutlich niedriger als die 2,1, die für eine stabile Bevölkerungszahl notwendig wären.
"In städtischen Gebieten dämpfen die hohen Kosten für Wohnraum, Gesundheit und Ausbildung die Begeisterung junger Paare, Kinder zu bekommen", stellte das Wirtschaftsmagazin "Caixin" fest. Zudem geht die Zahl der Eheschließungen zurück. Die Scheidungsrate in China ist viel höher als etwa in Japan oder Südkorea. Viele Paare warten auch mit der Heirat und gründen erst später Familien.
Die Aufhebung der seit 1979 geltenden Ein-Kind-Politik hatte 2016 nur zu einem leichten Anstieg der Geburten geführt. Seither ist die Zahl jedes Jahr gefallen. Chinas umstrittene Familienplanung, die durch radikale Maßnahmen das Bevölkerungswachstum bremsen sollte, hat das Fruchtbarkeitskonzept der Chinesen komplett verändert. Die Menschen hätten sich daran gewöhnt, nur ein Kind zu haben, sagen Forscher.
Die erste Volkszählung seit zehn Jahren und die siebte seit 1953 war im November und Dezember 2020 vorgenommen worden. Rund sieben Millionen Volkszähler waren von Tür zu Tür gegangen oder hatten Interviews am Telefon oder online vorgenommen. Es gab aber ernste Zweifel, ob die Volkszählungsdaten auch die Realität widerspiegeln.
So ist der Familienplanungsexperte Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin anhand seiner Berechnungen überzeugt, dass Chinas Bevölkerung längst schrumpft. "Ich denke, es begann 2018", sagte der Professor der Deutschen Presse-Agentur. Aus seiner Sicht wurde China als bevölkerungsreichstes Land bereits von Indien abgelöst, das 1,366 Milliarden Menschen zählt.
"Die wahre Bevölkerungszahl hat 2020 höchstwahrscheinlich die 1,28 Milliarden nicht überschritten - weit weniger als die offiziell genannten 1,4 Milliarden", sagte Yi Fuxian. Die Statistik sei stark nach oben geschönt. "Das Problem ist sehr ernst", sagte der Experte. "Es bedeutet, dass Chinas Wirtschaft, Gesellschaft, Bildung und Verteidigung auf falschen Bevölkerungsdaten basiert."
Er zählt Widersprüche auf: So seien im Jahr 2000 beispielsweise 17,8 Millionen Geburten gezählt worden, doch habe es 14 Jahre später nur 13,7 Millionen 14-Jährige gegeben. Aus seiner Erfahrung wird die Zahl der Geburten in der Statistik ständig zu hoch angegeben. "Früher war es um 20 bis 30 Prozent, aber heute um 40 bis 50 Prozent."
Verzerrungen kann es auch geben, wenn die Ergebnisse der Volkszählung mit früheren Statistiken und dem Wohnortmeldesystem (Hukou) abgeglichen werden. So sind in China mehr Menschen gemeldet als wirklich existieren. Experten beklagen korrupte Geschäfte, indem Hukou-Anmeldungen mehrfach an eine Person vergeben werden. Ein Grund: Mancherorts ist der Kauf einer Wohnung auf eine Anmeldung limitiert.
Verschuldete Kommunen melden wohl auch gerne inflationierte Bevölkerungszahlen an höhere Stellen, um mehr Finanzausgleich für Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung oder Infrastruktur zu bekommen.
Experten warnen, dass ein Rückgang der Bevölkerung und die "beispiellose" Überalterung den Konsum auf dem Milliardenmarkt und das Wachstum bremsen werden, worunter Investitionen und Außenhandel leiden werden. Sorgen macht ferner die Immobilienblase.
Die Überalterung wird die Debatte über eine Anhebung des Rentenalters anfachen, die unpopulär ist. China hat weltweit eine der niedrigsten Altersgrenzen: Frauen können je nach Beruf mit 50 oder 55 Jahren in Rente gehen - Männer mit 60. Die Regelung stammt noch aus den Anfängen der Volksrepublik, als die Lebenserwartung niedrig war. Immer wieder heißt es: "China wird grau, bevor es reich wird."/lw/DP/zb