
Dabei hat die EU-Kommission verwegene Praktiken aggressiver Steuervermeidung offengelegt. Gewinne wurden verschoben, Lizenzrechte verlagert und ein Geflecht von Untergesellschaften installiert - mit dem einzigen Ziel, dass die Steuerlast des Europageschäfts genau dort anfällt, wo kooperationswillige Finanzämter extrem günstige Steuerbescheide ausstellen.
Bekanntlich ist man auf hoher See und vor Gericht in Gottes Hand. Im Fall Amazon musste Vestager schmerzhaft erleben, dass es nicht reicht, ein System von Briefkastenfirmen aufzudecken. Denn über die Wertschöpfung eines Briefkastens lässt sich streiten - zumal, wenn eine Firma die Stirn hat, alle möglichen Rechte geistigen Eigentums dort zu deponieren. Das ist so unverfroren, als würde eine Friseurkette die Sitzplätze für wartende Kunden zu "Forschungszentren" umdefinieren, weil dort Zeitungen ausliegen - nur steuerlicher Vergünstigungen wegen.
Die Urteile in den Rechtssachen Apple und Amazon zeigen, dass das Wettbewerbsrecht nur bedingt taugt, um dreiste Steuerdeals zwischen Konzernen und willfährigen Regierungen zu verhindern. Die Deals, die die Steuerlast für beteiligte Konzerne völlig unangemessen verringern, mögen noch so sehr schreiendes Unrecht sein. Formell sind viele von ihnen rechtens.
Vestager muss nach der erneuten Niederlage viel Kritik einstecken. Ihre Vorstöße hätten, da sie vom Gericht kassiert wurden, im Kampf gegen Steuervermeider geschadet. Das ist Unfug.
Die Dänin hat mit den Verfahren den Verhandlungen über eine politische Lösung in Form verstärkter Transparenz (Stichwort Country-by-Country-Reporting) und in Form internationaler Standards (Stichwort Mindeststeuer) kräftig Schub verliehen. Und mal sehen: Die EU-Kommission kann ja Rechtsmittel einlegen. Allein der Ausgang in der parallelen Rechtssache Engie zeigt, dass Richter bei Steuerdeals so oder so entscheiden. Weder bei Amazon noch im luxemburgischen Finanzministerium sollte man die Sache zu früh als erledigt ansehen.
(Börsen-Zeitung, 14.05.2021)
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