ERFURT (dpa-AFX) - Die für den 19. Juli geplante Auflösung des Thüringer Landtags steht auf der Kippe - die nötige Zweidrittelmehrheit könnte knapp verfehlt werden. Für Aufregung sorgte am Mittwoch in Erfurt eine Erklärung von vier Abgeordneten der CDU-Fraktion. In dem Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, machen sie deutlich, dass sie nicht für die Selbstauflösung des Parlaments stimmen wollen. Bleiben sie bei ihrer Haltung, wäre der Weg für die am 26. September geplante Landtagswahl in Thüringen versperrt.
Auf den Neuwahltermin zusammen mit der Bundestagswahl hatten sich die Spitzen von Linke, SPD, Grünen und CDU vor einigen Wochen verständigt. Die vier Abtrünnigen setzen mit ihrer Haltung die CDU-Spitze mit Fraktionschef Mario Voigt und Landeschef Christian Hirte, die für eine Neuwahl wirbt, unter Druck. Sie würden "weder einen Antrag zur Selbstauflösung unterschreiben noch einen solchen Antrag im Parlament unsere Stimme geben", erklärten die vier - allesamt langjährige Parlamentarier. Zuerst hatte die Tageszeitung "Freies Wort" (Suhl/Mittwoch) über ihre Entscheidung berichtet.
Nach einer Sitzung berichtete die Fraktion am Mittwoch über eine erneute Probeabstimmung: 20 der 21 CDU-Abgeordneten hätten sich beteiligt. Drei Abgeordnete votierten gegen eine Selbstauflösung des Landtags. Allerdings war eine der vier Abtrünnigen nach dpa-Informationen krankheitsbedingt bei der Abstimmung nicht dabei.
Hinter den Kulissen soll in der Fraktion heftig diskutiert worden sein. Eines der Argumente: Würde die CDU der Landtagsauflösung und damit einer Neuwahl nicht zustimmen, könnte sie wieder zur Getriebenen der AfD mit ihrem Fraktionschef Björn Höcke werden. Offiziell erklärten Voigt und Hirte: Ziel der CDU sei es, Rot-Rot-Grün zu beenden - und nicht im Amt zu halten. "Das Land braucht Neuwahlen."
Im Raum steht aber auch der Tabubruch von 2020, an den die Fraktionschefs von Linke, SPD und Grünen erinnerten und an Voigt appellierten, für Klarheit zu sorgen. "Die Neuwahl wird nicht an fehlenden Stimmen aus unseren Fraktionen scheitern", erklärten die Fraktionschefs Steffen Dittes (Linke), Matthias Hey (SPD) und Astrid Rothe-Beinlich (Grüne).
Thüringen war Anfang 2020 in eine schwere Regierungskrise nach der Wahl von Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) mit Stimmen von FDP, CDU und AfD gestürzt. Erstmals hatte die AfD maßgeblich die Wahl eines Ministerpräsidenten in Deutschland beeinflusst. Die oppositionelle CDU-Fraktion hatte sich danach mit der rot-rot-grünen Minderheitskoalition von Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) auf eine vorgezogene Landtagswahl verständigt - in der Hoffnung auf klare Mehrheiten im Parlament. Regulär würde der Landtag erst 2024 neu gewählt.
In der Erklärung der vier CDU-Parlamentarier heißt es unter anderem, seit der Verabschiedung des Landesetats für 2021 hätten sie ihre "Bedenken gegen eine Selbstauflösung hervorgebracht und klar kommuniziert, dass wir diesen Weg nicht gehen werden". Weiter heißt es: "Mehrfache Abstimmungen in unserer Fraktion seit Januar 2021 belegen, dass es zu keinem Zeitpunkt eine notwendige Zweidrittelmehrheit gegeben hat." Und auch ein gewichtiger Grund für die Auflösung des Landtags entgegen dem Wählerwillen fehle - schließlich gehe die Landesregierung seit über einem Jahr ihren Geschäften nach.
Linke, SPD und Grüne verfügen im Landtag in Erfurt über 42 Stimmen, die CDU über 21. Für die Auflösung des Parlaments müssten mindestens 60 der insgesamt 90 Abgeordneten stimmen. Bliebe es bei der Haltung der vier CDU-Abgeordneten, fehlte eine Stimme. FDP und AfD wollen nach bisherigen Angaben eine Landtagsauflösung nicht aktiv betreiben./rot/DP/fba