BERLIN (dpa-AFX) - Ein Volksentscheid über die Enteignung von großen Immobilienunternehmen in Berlin rückt näher. Die Bürgerinitiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" hat dafür in den vergangenen vier Monaten nach eigenen Angaben 349 658 Unterschriften gesammelt. Angesichts der hohen Zahl gehe sie davon aus, dass die Berlinerinnen und Berliner am Tag der Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl am 26. September darüber abstimmen dürfen, teilte sie am Freitag mit. Die aktuelle Unterschriftenzahl gab die Initiative bei einer Kundgebung am Nachmittag vor der Senatsverwaltung für Inneres bekannt.
Der Erfolg der Unterschriftensammlung zeige, dass sehr viele Berlinerinnen und Berliner bezahlbaren Wohnraum in Gemeineigentum wollten, so Jenny Stupka, eine Sprecherin der Initiative. "Die Berlinerinnen und Berliner lassen sich nicht mit Symbolpolitik abspeisen."
"Deutsche Wohnen & Co. enteignen" setzt sich dafür ein, Immobilienunternehmen mit mehr als 3000 Wohnungen zu "vergesellschaften", also gegen eine Milliardenentschädigung zu enteignen. Rund 240 000 Wohnungen in der Hauptstadt sollen nach den Vorstellungen der Initiative in den Besitz einer Anstalt des öffentlichen Rechts überführt und gemeinwohlorientiert verwaltet werden. Ziel ist, den weiteren Anstieg der Mieten in Berlin zu stoppen, der in den vergangenen Jahren deutlich über dem deutschlandweiten Durchschnitt lag.
Nach dem Scheitern des Mietendeckel-Gesetzes vor dem Bundesverfassungsgericht im April steht Berlin damit die Diskussion über das nächste umstrittene mietenpolitische Projekt bevor. Voraussetzung für den Volksentscheid sind rund 175 000 gültige Unterschriften. Das entspricht sieben Prozent der Berliner Wahlberechtigten - es gilt als wahrscheinlich, dass das erreicht wird. Die Landesabstimmungsleiterin wollte sich am Freitagabend zu der Unterschriftensammlung äußern.
Bis Ende Mai hatte die Initiative schon gut 197 000 Unterschriften eingereicht. Bei deren anschließender Prüfung in den Bezirkswahlämtern waren allerdings 29,9 Prozent davon ungültig. Häufigster Grund war, dass die Unterzeichnenden nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hatten.
Rouzbeh Taheri, ein Sprecher der Initiative, zeigte sich am Freitag im RBB-Inforadio optimistisch, dass die Mindestzahl erreicht sei: "Auf jeden Fall haben wir es geschafft, das können wir jetzt schon feststellen", sagte er. "Am 26. September haben die Berlinerinnen und Berliner die Möglichkeit über die Zukunft ihrer Stadt abzustimmen."
Wenn es beim Volksentscheid eine Mehrheit für das Vorhaben gibt, wird sich der künftige Senat damit beschäftigen müssen. Er ist aber nicht rechtlich gebunden, die Pläne der Initiative umzusetzen. "Es kann keinen Senat geben, der einen positiven Volksentscheid in dieser Frage ignoriert", sagte Taheri. "Der Druck wird so groß sein, dass der zukünftige Senat nicht drumrum kommen wird, ein Vergesellschaftungsgesetz zu erarbeiten." Die Berliner Mieterbewegung sei stark und selbstbewusst genug, um auch die künftige Regierung unter Druck zu setzen.
Allerdings hat sich nicht nur die Immobilienwirtschaft klar gegen ein solches Gesetz ausgesprochen. CDU-Landeschef Kai Wegner sagte am Freitag, zu einem Neustart in der Wohnungspolitik passten Enteignungsfantasien von vorgestern nicht. "Sie schaffen nur weiteren Frust." Wegner, Spitzenkandidat der CDU für die Abgeordnetenhauswahl im September, warnte, den Berlinerinnen und Berlinern drohten Miet- und Steuererhöhungen, um die Entschädigungszahlungen zu finanzieren.
Der FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, ebenfalls Spitzenkandidat seiner Partei, warf der Initiative vor, den Menschen Sand in die Augen zu streuen. Die Ausgaben für die Entschädigung führten Berlin in den finanziellen Ruin.
Taheri wies Kritik zurück, die Umsetzung der Pläne werde den Landeshaushalt Milliarden kosten, die dann an anderer Stelle fehlen würden. Die Bürgerinitiative will die Immobilienunternehmen nicht mit Geld, sondern mit Schuldverschreibungen entschädigen. Sie sollen sogenannte Entschädigungsbonds erhalten. Die Schuldverschreibungen sollen dann über einen Zeitraum von 40 Jahren getilgt werden.
Das Anliegen der Initiative ist allerdings auch innerhalb des rot-rot-grünen Senats hochumstritten. Die SPD und ihre Spitzenkandidatin Franziska Giffey halten es für den falschen Weg. Die Linke in Berlin hat das Anliegen der Initiative dagegen von Anfang an unterstützt und sogar Unterschriften mitgesammelt. Mehr als 32 000 kamen dabei zusammen. Eine politische Mehrheit für die Umsetzung der Pläne ist derzeit nicht zu erkennen - und bei der Abgeordnetenhauswahl werden die Karten ohnehin neu gemischt.
Für den späten Nachmittag hat "Deutsche Wohnen & Co. enteignen" angekündigt, nach ihrer Kundgebung "mit Musik und einer Performance" die restlichen Unterschriftenlisten an Vertreter der Landesabstimmungsleitung zu überreichen./ah/DP/he