Regensburg (ots) - Der schnelle Erfolg von US-Präsident Joe Biden mit dem Beschluss des 1,9 Billionen schweren "American Rescue Plan" im Kongress verleitete zu den für Washington so typischen Übertreibungen. Euphorische Demokraten verglichen den neuen Präsidenten bereits mit anderen Ikonen im Weißen Haus wie Franklin D. Roosevelt oder Lyndon B. Johnson. Oder stilisierten den 78-jährigen Biden zum "Anti-Reagan", der die Rückkehr des Staates als positive Kraft im Leben der Amerikaner auf den Weg bringt.An Ambitionen mangelt es im Weißen Haus nicht. Die beiden vorgeschlagenen Infrastruktur-Pakete - der "American Jobs Plan" und der "American Families Plan - haben mit einem Volumen von vier Billionen Dollar einen Anspruch, der dem der Sozialgesetzgebung Roosevelts nahekommt. Nicht minder weitreichend wäre die mit dem "For The People Act" angestrebte Wahlrechtsreform und die im "Equality Act" beabsichtigte Zementierung der Schutzrechte für sexuelle Minderheiten. Beides knüpfte direkt an die umfassende Bürgerrechtsgesetzgebung Johnsons an. Der grundlegende Unterschied zwischen Biden und seinen Vorgängern besteht in den politischen Realitäten. Während Roosevelt und Johnson im Kongress über ausreichende Mehrheiten verfügten, dürfen die Demokraten im Repräsentantenhaus bei Abstimmungen nicht mehr als eine Handvoll an Stimmen verlieren. Im Senat müssen alle 50 Demokraten an Bord sein, um mithilfe der Vizepräsidentin Gesetze zu beschließen. Die Dinge verkompliziert die altertümliche Geschäftsordnungsregel des Senats, die vorschreibt, dass 60 von 100 Stimmen benötigt werden, eine Debatte zu beenden. Damit kann die Minderheit so ziemlich jede Abstimmung blockieren. Das ist mit einem "Filibuster" gemeint.Vergangene Woche erhielten die Demokraten bei der Wahlrechtsreform ein Anschauungsbeispiel. Vor ihren Augen starb der Traum einer großen Wahlrechtsreform. Biden hielt sich in der Debatte über das Gesetz auffallend zurück. Der Grund dafür ist die Aussichtslosigkeit des Unterfangens im Senat. Nachdem die demokratischen Senatoren Joe Manchin und Kyrsten Sinema eine Abschaffung der 60-Stimmen-Hürde ausgeschlossen haben, gibt es bei dieser Reform keinen Weg um den "Filibuster" herum. Ein solcher besteht nur bei Gesetzen, die eine direkte Auswirkung auf den Haushalt haben. Etwa die beiden Infrastruktur-Pakete, die wie nach dem Vorbild des "American Rescue Plan" mit einfacher Mehrheit über das Instrument des "Nachtragshaushalts" beschlossen werden können. Statt Manchin zu vergrätzen, unternimmt Biden alles, dessen Bereitschaft für eine Haushaltskonsolidierung zu öffnen. Das Weiße Haus verfolgt deshalb einen Parallel-Pfad aus Verhandlungen über ein klassisches Infrastruktur-Paket mit einer überparteilichen Gruppe aus Senatoren und der Vorbereitung eines Nachtragshaushalts, der die übrigen Prioritäten abdeckte. Dies soll Manchin in seinem konservativen Heimatstaat West Virginia politische Rückendeckung geben, den Weg für das größere Reformwerk freizugeben.Der Durchbruch bei den Verhandlungen mit den moderateren Republikanern gibt Biden Anlass darauf zu hoffen, dass der Husarenstreich gelingt. Denn das Weiße Haus hat in dem Paket die grüne Wende mit weitreichenden Klimaschutz-Maßnahmen verknüpft und spannt darin ein neues soziales Netz für eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen in prekären Verhältnissen leben. Inklusive Zugang zu bezahlbarer Bildung und Gesundheitsfürsorge. Biden weiß aus mehr als vier Jahrzehnten in Washington um die Grenzen seiner Macht als Präsident. Er ist Realist genug, sich an der Kunst des Möglichen zu versuchen, statt große Unterschriften unter bombastisch klingende Dekrete zu setzen, die am Ende wenig bewirken.Ein amerikanischer Präsident, der etwas erreichen will, muss sich seine Kämpfe aussuchen. Biden hat die Infrastruktur zum Kronjuwel seiner Amtszeit auserkoren. Die kommenden Tage vor der Sommerpause werden über die Erfolgsaussichten seiner Präsidentschaft entscheiden.
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