KÖLN (dpa-AFX Broker) - Die Wirtschaft erholt sich zusehends von der Corona-Krise, Unternehmen nehmen wieder mehr Geld für Werbung in die Hand: Ein Trend, der dem Werbevermarkter Ströer Rückenwind beschert. So hatten in der Krise zusammengestrichene Marketingbudgets das Unternehmen, zu dem auch das Nachrichtenportal T-Online gehört, im vergangenen Jahr teils stark belastet. Was bei Ströer los ist, was die Aktie macht und was die Analysten sagen.
DAS IST LOS BEI STRÖER:
Angesichts der Fortschritte bei der Corona-Impfkampagne und zuletzt niedriger Infektionszahlen kann Ströer aufatmen. Die in der Krise eingebrochene Außenwerbung (Out of Home, OOH) sei mit den Buchungen für Juni und die folgenden Sommermonate auf dem Vorkrisenniveau angekommen, hieß es zuletzt auf einer Investorenveranstaltung. Das zweite Quartal fällt nun wohl etwas besser aus als vom MDax-Unternehmen zuletzt in Aussicht gestellt.
Das Unternehmen erwartet für die drei Monate bis Ende Juni einen Umsatz, der 42 Prozent über dem pandemiebedingt schwachen Vorjahreszeitraum liegt. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) soll um rund 70 Prozent zulegen. Bisher hatte Ströer ein Erlösplus von bis zu 40 Prozent in Aussicht gestellt, das operative Ergebnis sollte um mehr als 60 Prozent wachsen.
Unter anderem liege die jüngste Entwicklung daran, dass Kunden in allen Segmenten verstärkt Werbung buchten - besonders aber im Bereich der Außenwerbung. Hier zog das Geschäft um rund die Hälfte an. Insbesondere große nationale Kunden hätten Vermarktungskampagnen wieder aufgenommen, hieß es.
Auch die Online sieht es besser aus: Sowohl eigene Portale des Konzerns wie auch das Drittgeschäft liefen im zweiten Quartal besser als vom Vorstand um Gründer und Co-Chef Udo Müller gedacht. Das Statistikportal Statista wuchs mit 50 Prozent ebenfalls stärker als erwartet. Müller sieht für das Portal und den Online-Kosmetikhändler Asam, der zum Start-up-Portfolio des Unternehmens gehört, ohnehin Wachstumschancen.
Während der heißen Phase der Corona-Pandemie war das Geschäft des Werbevermarkters unter Druck geraten, vor allem bei Außenwerbung waren die Budgets gekürzt worden. Wegen des Home Office fuhren weniger Menschen mit der Bahn und dem Personennahverkehr. Die Plakatflächen und Bildschirme von Ströer waren damit weniger gefragt, auch im ersten Quartal dieses Jahres sank der Umsatz in der Sparte fast um die Hälfte.
An die jüngste Erholung anknüpfend rechnet das Ströer-Management nun für das Gesamtjahr mit einem Umsatz von 1,6 Milliarden Euro und damit in etwa so viel wie im Vorkrisenjahr 2019. Das um Sondereffekte bereinigte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen erwarten die Kölner zwischen 490 und 510 Millionen Euro. Im vergangenen Jahr war der Wert von 570 auf 465 Millionen Euro abgesackt. Die endgültigen Zahlen zum zweiten Vierteljahr will der Vorstand am 17. August präsentieren.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Die Analysten sind sich weitestgehend einig: Fünf von sechs der seit Juni im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten sprechen sich für den Kauf von Ströer-Papieren aus. Nur Warburg Research bleibt weiter bei Halten-Votum. Zwar sei das zweite Quartal besser als erwartet verlaufen und der Werbedienstleister habe einen positiven Zwischenbericht abgegeben, schrieb Analyst Jörg Frey zuletzt. Allerdings rechne er nicht mit groß steigenden Markterwartungen. Immerhin sei aber eine Gewinnerholung nun besser absehbar.
Analystin Nizla Naizer von der Deutschen Bank betonte die starke Erholung im Bereich Außenwerbung im zweiten Quartal. Patrick Wellington von der US-Investmentbank Morgan Stanley geht sogar einen Schritt weiter und glaubt, dass Außenwerbung im Zuge einer Normalisierung des Alltags zu den Gewinnern gehören werde. Er erwartet eine vollständige Erholung von Ströers Geschäft bis 2023.
Marcus Diebel von der US-Bank JPMorgan betonte, der erstmals fürs Gesamtjahr abgegebene Ausblick unterstreiche, dass die wirtschaftliche Erholung und die des Werbegeschäfts wieder voll auf Kurs seien. Die deutliche Erholung im Außenwerbesegment sei zudem eine gute Botschaft für die Konkurrenten JCDecaux oder auch WPP . Bis zum durchschnittlichen Kursziel von rund 82 Euro hat die Aktie nach dem Kursrutsch in den vergangenen Monaten noch ein weites Stück vor sich.
DAS MACHT DIE AKTIE
An der Börse änderten die jüngsten Geschäftszahlen und der Ausblick nichts am kurzfristigen Abwärtstrend. Mit aktuell knapp 68 Euro kosten die seit 2010 an der Börse notierten Papiere fast ein Fünftel weniger als zum Rekord von 82,50 Euro Ende 2020.
Damit zählen die Aktien im MDax zu den größten Verlierern im bisherigen Jahresverlauf. Dafür hatte das Papier 2019 und auch 2020 zu den Gewinnern gehört. Aktionäre der ersten Stunde können sich ebenfalls freuen: Seit dem Sommer 2011 hat sich der Werte der Aktien mehr als verdreifacht.
Allerdings brauchten die Anleger in den ersten Jahren auch viel Geduld. Der Ausgabepreis beim Börsengang 2010 betrug 20 Euro, bis Herbst 2012 ging es fast auf 6 Euro nach unten. Doch von da an ging es unter anderem dank vieler Übernahmen und den Ausbau des Digitalgeschäfts nach oben - allerdings unter teils heftigen Ausschlägen.
Diese wurden zum Teil auch von Angriffen von Leerverkäufern wie Muddy Waters ausgelöst. Dieser hatte den Konzern im 2016 unter anderem wegen angeblich zu hoch gegriffener Wachstumskennziffern attackiert und den Kurs stark belastet. Inzwischen ist diese Scharte im Kurschart ausgewetzt.
Trotz des Kursrückgangs in den vergangenen Monaten bringt Ströer immer noch 3,8 Milliarden Euro auf die Börsenwaage. Die Marktkapitalisierung des französischen Werbevermarkter JCDecaux liegt bei 5,1 Milliarden Euro, obwohl der deutlich größer ist.
Damit wird JCDeceaux derzeit an der Börse mit dem 1,9-fachen des für 2021 erwarteten Umsatzes auf Basis der aktuellen Bloomberg-Daten bewertet. Bei Ströer liegt der Faktor bei 2,4 - und auch beim operativen Ergebnis liegt die Bewertung Ströers deutlich über der von JCDecaux.
Größte Anteilseigner des Konzerns ist der Mitgründer und Co-Vorstandschef Udo Müller, der rund 22 Prozent der Anteile hält. Dirk Ströer, Erbe des anderen Mitgründers Heinz Ströer, hält knapp ein Fünftel der Anteile. Die Deutsche Telekom ist seit dem Verkauf von T-Online mit knapp 10 Prozent beteiligt./ngu/zb/mis