DÜSSELDORF (dpa-AFX) - Millionen Arbeitnehmer mussten in Kurzarbeit, Hunderttausende verloren ihren Job: Die Corona-Krise hat die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt in Deutschland hart getroffen. Das spiegelt sich auch immer stärker in der Lohnentwicklung wider. Erstmals seit einem Jahrzehnt wird aus Sicht von Wissenschaftlern der Anstieg der Tariflöhne 2021 voraussichtlich nicht ausreichen, um die allgemeine Preissteigerung auszugleichen. Und bei der Entwicklung der Reallöhne sah es für die Beschäftigen zuletzt auch nicht gut aus.
In den Jahren 2018 und 2019 waren die Tariflöhne mit Zuwächsen von 3,0 und 2,9 Prozent noch relativ kräftig gestiegen. Doch das ist vorbei. Seit dem Frühjahr 2020 stünden die Tarifauseinandersetzungen "ganz im Zeichen der Corona-Krise", sagte der Leiter des Tarifarchivs des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, Thorsten Schulten, am Donnerstag in Düsseldorf.
Die Folge: Schon im Jahr 2020 stiegen die Tariflöhne nur um 2,0 Prozent. Und der Abwärtstrend hat sich 2021 fortgesetzt. Nach den im ersten Halbjahr und in den Vorjahren für 2021 abgeschlossenen Tarifverträgen werden die Tariflöhne in diesem Jahr nur um 1,6 Prozent steigen, wie das WSI errechnete. Angesichts der zuletzt deutlich gestiegenen Inflationsrate werde die reale Tariflohnentwicklung mit einem Minus von 0,2 Prozent damit leicht negativ ausfallen. Die Folge: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer könnten sich mit ihrem Verdienst am Ende - etwas - weniger kaufen als noch im Vorjahr. In den vergangenen 20 Jahren habe es das nur drei Mal gegeben: 2006, 2007 und 2011.
Dabei wurde der Abwärtstrend noch durch die bereits in den vergangenen Jahren für 2021 abgeschlossenen Tarifverträge abgemildert. Bei den im 1. Halbjahr 2021 neu abgeschlossenen Tarifverträgen lagen die Lohnsteigerungen sogar nur bei durchschnittlich 1,1 Prozent.
Und real dürfte es in vielen Portemonnaies zuletzt sogar noch etwas schlechter ausgesehen haben. Denn nach Angaben des Statistischen Bundesamtes lag die bezahlte Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten im 1. Quartal dieses Jahres um drei Prozent unter dem Niveau des Vorjahresquartals. Hier machte sich vor allem die Kurzarbeit bemerkbar. Sie reduzierte die bezahlte Wochenarbeitszeit und damit den Bruttomonatsverdienst.
Wie sich das auf Löhne und Gehälter auswirkte, ist allerdings gar nicht so einfach zu sagen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (Destatis) lagen die Reallöhne im 1. Quartal 2021 um 2,0 Prozent niedriger als im Vorjahreszeitraum. Doch ganz so schlimm dürften die Einbußen für die Beschäftigten am Ende doch nicht gewesen sein. Denn die Statistiker berücksichtigten bei diesen Berechnungen das gezahlte Kurzarbeitergeld nicht, weil es in ihren Augen eine Lohnersatzleistung darstellt und damit kein Verdienstbestandteil ist.
Fest steht aber, dass die Pandemie den in den Jahren bis 2019 beobachteten Höhenflug der Bruttolöhne und Gehälter erst einmal gestoppt hat. Im Zeitraum von 2010 bis 2020 waren die Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer nach Angaben der Statistiker um 28,5 Prozent gestiegen. Die jährliche Zuwachsrate lag bei durchschnittlich 2,5 Prozent. Im Corona-Jahr 2020 gingen die Bruttolöhne und -gehälter dagegen nach den Ergebnissen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung um 0,1 Prozent zurück.
Die Konjunkturexperten des RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen sehen allerdings Licht am Ende des Tunnels. In ihrem jüngsten Konjunkturbericht prognostizierten sie, dass die Bruttolöhne und -gehälter bereits in diesem Jahr wieder deutlich stärker steigen werden als es die Entwicklung der Tariflöhne suggeriere. Ihre Prognose: "Nach dem kräftigen Einbruch im letzten Jahr dürften die Bruttolöhne und -gehälter mit 3,0 Prozent beziehungsweise 3,1 Prozent 2021 und 2022 anziehen." Da bliebe vielleicht auch nach Abzug der Inflationsrate etwas mehr übrig./rea/DP/jha