Die steigende Inflation wird von vielen Analysten als eine der derzeit größten Gefahren für den Aktienmarkt genannt. Wir haben Professoren und Top-Kapitalmarktexperten gefragt: Wie schlimm wird es? Antworten!
Schreckgespenst Inflation: Auf was müssen sich Aktienanleger jetzt gefasst machen? Antworten:
Für mehr Coolness am Aktienmarkt sprechen laut Joachim Schallmayer, Leiter Kapitalmärkte und Strategie bei der DekaBank, zwei Gründe: "Aktienanleger sollten den Inflationskapriolen in diesem Jahr äußerst gelassen begegnen. Denn erstens wird sich spätestens zum Jahreswechsel die Dynamik in den Inflationszahlen deutlich verändern und auf erheblich niedrigere Niveaus fallen. Wir erwarten für die USA in 2022 eine Teuerungsrate von nur noch 1,7 Prozent und in Euroland von 1,5 Prozent", so Schallmeyer.
"Und zweitens weisen die Unternehmen trotz der starken Preisanstiege von Rohstoffen und Vorprodukten eine sehr gute Profitabilität aus und können die verbesserte Wachstumsdynamik in stark steigende Unternehmensgewinne überführen. Von niedrigen Niveaus aus ansteigende Inflationsraten sind in der Regel gut für die Aktienkursentwicklung. Erst wenn ein gewisses Niveau der Inflationsanstiege nach oben durchbrochen wird, wirkt sich dies belastend auf den Aktienmarkt aus. Von diesen Niveaus sind wir, gerade mit Blick auf das Jahr 2022, aber noch sehr weit entfernt", erklärt der Aktien-Experte der DekaBank, Joachim Schallmayer.
Deutsche Bank
Zwischen Unternehmen "aus der Unterhaltungselektronik- oder Autoindustrie oder auch Hotels und Reiseveranstaltern, die von dem Nachholbedarf der Konsumenten profitieren" - und auf der Seite der Inflations-Verlierer: "Unternehmen mit geringen Gewinnmargen, die in starkem Konkurrenzkampf stehen, sowie Aktien von Firmen, die sich überwiegend fremd finanzieren wie etwa Technologiefirmen", unterscheidet Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank.
Die Inflations-Verlierer könnten sich laut Stephan bei wachsenden Inflationsraten schlechter entwickeln, "falls die Notenbanken steigende Preise mit Leitzinserhöhungen kontern werden", meint der Chefanlagestratege der Deutschen Bank im Gespräch mit der wallstreet:online Zentralredaktion. "Generell sollten Aktien nicht allzu sehr unter moderat ansteigenden Inflationsraten leiden - sie können sogar einen gewissen Schutz davor bieten", macht Stephan den Aktien-Anlegern Mut zur Gelassenheit.
Hochschulprofessor
Ohne auf schlechten Erfahrungen fußende Inflations-Paranoia - "die Inflation der 1980-er Jahre beruhte auf strukturellen Entwicklungen zu jener Zeit" - blickt Harald Meisner von der Rheinischen Fachhochschule Köln auf die Preisentwicklung.
Allerdings sieht der Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Finanzwirtschaft eine andere aktute Gefahr: "Ein anderer Aspekt ist die Vermögenspreisinflation, die den Märkten zu schaffen machen könnte. Blasenbildungen und psychologische Verzerrungen sind die Folge. Häuserpreisentwicklungen bei uns und in den USA und auch das hohe Kurs-Gewinn-Verhältnis (auf Makroebene Shiller-PE-Ratio) von fast 39 in den USA weisen auf diese Problematik hin. Anleger sollten folglich auf der Hut sein und die möglichen Blasenbildungen im Auge haben", rät der Professor aus dem Rheinland.
Anleihe-Markt
Der Professoren-Kollege aus der deutschen Finanzhauptstadt Frankfurt am Main, Jan Pieter Krahnen, Direktor des Leibniz-Instituts für Finanzmarktforschung SAFE, gibt eine noch deutlichere, ermutigende Antwort: "Nein, eine höhere Inflation wird den Aktienmarkt weniger betreffen, als den Anleihemarkt. Am Anleihemarkt werden die mit der Inflation verbundenen Zinsbewegungen zu einem Wertverlust für ausstehende Anleihen führen. Dagegen werden Aktien im Durchschnitt die inflationären Entwicklungen "mitnehmen' und also keinen Wertverlust erleiden", so der Frankfurter Gelehrte.
Realzins
Last but not least, winkt Folker Hellmeyer, Chefanalyst von Solvecon, beim Thema "Akute Inflationsgefahr für Aktien" ab: "Entscheidend wird in den kommenden Monaten sein, ob die Unternehmen ihre Preisüberwälzungsspielräume vollständig wahrnehmen werden und ob es zu einer Lohn/Preisspirale kommen wird. Hinsichtlich der Tatsache, dass aktuell Kapazitäten erweitert werden und eine internationale Konkurrenzsituation gegeben ist, gehe ich von einem weiter milden Verlauf der Preisinflation aus. Für den Aktienmarkt ist in einem Niedrigzinsumfeld der Realzins (Nominalzins abzüglich der Preisinflation) bedeutender als der solitäre Nominalzins. Der Realzins bleibt absehbar negativ", so Hellmeyer, der in seiner langen Karriere schon mehrere Preisspiralen kommen und gehen gesehen hat.
Autor: Christoph Morisse, wallstreet:online Zentralredaktion