
DJ MARKT-AUSBLICK/Düster für DAX: Marge, Umsatz und Bewertung fallen
Von Michael Denzin
RANKFURT (Dow Jones)--Schwierige Zeiten könnten auf DAX & Co zukommen. Denn mittlerweile werden die Märkte von so vielen negativen Faktoren in die Zange genommen, dass man von einem Giftcocktail sprechen kann. All das, was die Märkte jahrelang nach oben getrieben hatte, so wie die Geldschwemme der Notenbanken, verkehrt sich gerade ins Gegenteil: Nun treffen gebremste Absatzaussichten auf gekappte Margen die nur noch mit sinkenden Bewertungen bezahlt werden. Eigentlich können die Börsen schon froh sein, wenn sie ohne Crash durch den Herbst 2021 kommen.
Zeitenwende - Für Aktienbewertung geht es südwärts
Risikofaktor Nummer Eins ist natürlich das Rückfahren der Anleihekäufe durch die US-Notenbank. Allein, dass es von den Börsen als "tapering" gefürchtet wird, zeigt schon, wie verwöhnt die Anleger geworden sind. Wer älter als Vierzig ist, mag sich daran erinnern, dass bei einer boomenden Wirtschaft wie jetzt die Marktzinsen um die 4 Prozent gelegen haben. Die hochgetriebenen Aktienbewertungen von heute hätten in solch einem Umfeld keine Chance. Kurs-Gewinn-Verhältnisse würden eher um die 25 liegen als wie jetzt bei Einzelaktien mit 50er-KGVs. Selbst ganze Sektoren, deren KGVs üblicherweise noch von den nicht-performanten Mitgliedern gebremst werden, notieren auf ungesehenen Höhen. So beispielsweise der Retail- und der Tech-Sektor mit einem 2022er-KGV über 27.
Anleger werden daher sehr genau hinhören, wenn die US-Notenbanker ihren Fahrplan zum Tapering bekannt geben. Hier geht man davon aus, dass das Notenbanker-Treffen in Jackson Hole Ende August als Podium genutzt wird. Powell & Co sind sich natürlich der gefährlich hohen Aktienbewertung inklusive des Crash-Risikos bewusst. Entsprechend werden sie alles daran setzen, mit langen und planbaren Vorankündigungen für eine graduelles Ausschleichen der Anleiherückkäufe zu sorgen. Die Aktienbewertungen dürften daher nur gemächlich sinken. Aber, steigen werden sie auf keinen Fall mehr. Höhere Aktienkurse würden sich dann nur noch über Gewinnanstiege rechtfertigen lassen.
Umsatzwachstum langsamer - Autos sind nur der Anfang
Aber auch hier sieht es mau aus: Sowohl beim Umsatzwachstum als auch bei den Gewinnmargen kommen die Grenzen des Wachstums immer näher. Als Warnzeichen sollten Anleger daher die Autowerte sehen, deren Sektor-KGV schon auf 7,5 geschrumpft ist. Und auch bei Rohstoffwerten ist es mit 8,7 einstellig. Die gedämpften Gewinnbewertungen werden von Strategen als klares Zeichen dafür gesehen, dass der Markt ein zyklisches Top in diesen besonders China- und konjunkturabhängigen Branchen erwartet.
Gerade die Autoindustrie zeigte in der abgelaufenen Woche mit handfesten Nachrichten, dass die Absätze zwar gut sind, aber eben nach oben gedeckelt. Chinas Autobauer Geely sprach diese Erwartung für den Heimatmarkt aus, Toyota plant im Herbst eine drastische Kürzung der Produktion von über 40 Prozent gegenüber den alten Planungen und auch VW will nun kürzer treten. Mit großem Umsatzwachstum sollten Anleger also nicht mehr in allen Branchen und Aktien rechnen.
Gewinnmargen in der Zange - Inflation und Investitionen
Und selbst die boomende Chemie-Industrie stößt an ihre Wachstumsgrenzen. Aktuell sieht es zwar hervorragend aus, was sich in einem Sektor-KGV über 15 noch widerspiegelt. Jedoch wies der Branchenverband VCI im Wochenverlauf darauf hin, dass die Angebotselastizität nach oben nicht mehr überall gegeben ist. Rund ein Fünftel der Unternehmen stoßen an Kapazitätsgrenzen. Für einen höheren Absatz müsste also investiert werden - ein Wort, dass an der gewinnorientierten Börse für blanken Horror sorgt. Denn Erweiterungsinvestitionen drücken auf die Gewinnmargen.
Und die Margen stehen sowieso unter Druck: Selten haben so viele Unternehmen wie in der abgelaufenen Berichtssaison zum zweiten Quartal darauf hingewiesen, wie stark ihre Einkaufs- und Rohstoffpreise gestiegen sind. Drastisch zeigt das die Explosion der deutschen Erzeugerpreise im Juli. Sie sprangen um 10,4 Prozent gegenüber Vorjahr. Das war der stärkste Anstieg seit 1975.
Die Inflationsanstiege beschleunigen sich damit seit Monaten, ein Ende ist nicht erkennbar. Das Gerede der Notenbanken von der angeblich nur "temporären" Inflation wird damit immer unhaltbarer. Tapering-Schritte müssen kommen.
Auf Unternehmensseite können auch die Programme zur Effizienzsteigerung nur noch wenig auffangen. In vielen Betrieben sind die Kostensenkungen während der Corona-Krise ausgereizt worden.
Delta-Variante in Europa unterschätzt
Nimmt man noch die neuen Unsicherheiten für die Lieferketten als Folge der raschen Ausbreitung der Delta-Variante hinzu, wird das Bild vollends düster. Besonders wenn sich die neueste Studie aus Oxford bewahrheiten sollte, dass auch Doppelt-Geimpfte genauso ansteckend wirken wie Ungeimpfte, drohen vielleicht bald schon wieder neue Lockdowns. Von Europa aus wird die Härte der aktuellen Delta-Welle oft unterschätzt. Aber in den USA sind es bereits sieben Bundesstaaten, wo Welle Nummer Vier alle drei vorherigen übertrifft. In einigen Staaten sind die Intensivbetten wieder zu 100 Prozent ausgelastet.
Wie es kurzfristig weitergeht in DAX & Co könnte schon am Montag kommender Woche entschieden werden. Dann stehen mit den neuen Einkaufsmanager-Indizes (PMIs) rund um den Globus die wichtigsten Indikatoren für Industrie- und Service-Bereich an. Sollten sie überraschend gut ausfallen, hätten die Börsen wohl noch Zeit gewonnen.
Negative Überraschungen könnten dagegen ganz schnell dazu führen, dass Analysten ihre Absatzerwartungen an die Industrie senken. Der Aktienmarkt dürfte dann ungemütlich werden. Nur ganz, ganz negative PMIs wären übrigens wieder gute Nachrichten - denn dann dürfte sich das Tapering in noch weitere Ferne verschieben.
Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com
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August 20, 2021 06:26 ET (10:26 GMT)
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