WIESBADEN (dpa-AFX) - Der Umbau des Kohlefaserspezialist SGL Carbon ist in vollem Gange. Bereits jetzt kann das SDax -Unternehmen erste Früchte ernten. Dank der Erholung der Nachfrage aus der Autoindustrie laufen die Geschäfte auch wieder besser. Die Aktie, die zuletzt 2019 und 2020 schwer gebeutelt wurde, ist seit Beginn des Jahres wieder im Aufwind. Was bei SGL Carbon los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.
LAGE BEI SGL Carbon:
Der Kohlefaserspezialist hat zwei schwierige Jahre hinter sich. Strukturelle Veränderungen in wichtigen Branchen wie Automobil oder Luftfahrt machten dem Wiesbadener Unternehmen zu schaffen. Dazu wurden 2019 Planungsfehler bekannt, das Unternehmen musste seine Jahresprognose kurz nach deren Bestätigung doch zurücknehmen und seine mittelfristigen Ambitionen begraben. Der damalige Chef Jürgen Köhler nahm seinen Hut, nur kurze Zeit, nachdem er erst seinen Vertrag verlängert hatte. Das Vertrauen der Anleger in das Unternehmen war zunächst dahin.
Im vergangenen Jahr machte SGL Carbon dann die Corona-Pandemie massiv zu schaffen, das Unternehmen schrieb Verluste. Im Herbst vergangenen Jahres kündigte der neue Chef Thorsten Derr ein massives Sparprogramm an - unter anderem sollte jede zehnte Stelle bei den Wiesbadenern gestrichen werden. Mit dem gesamten Programm werden Ergebnisverbesserungen von über 100 Millionen Euro pro Jahr bis zum Jahr 2023 angepeilt.
Nun, im Sommer 2021, hat sich die Situation aufgehellt. Das Unternehmen kommt mit seinem Sparprogramm inklusive des Abbaus von 500 Arbeitsplätzen voran. Bis Ende Juni seien rund zwei Drittel der Initiativen und 84 Prozent des Stellenabbaus umgesetzt worden, sagte das Management jüngst bei der Vorlage der Halbjahreszahlen. Per Ende Juni beschäftigten die Wiesbadener noch gut 4700 Personen.
Die Kostensenkungen entfalteten neben der Erholung der Nachfrage, insbesondere aus der Autoindustrie, in den vergangenen Monaten bereits Wirkung. Bei einem Umsatzwachstum um knapp neun Prozent auf rund 497 Millionen Euro steigerte SGL Carbon das operative Ergebnis (bereinigtes Ebitda) im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 71 Prozent auf knapp 72 Millionen Euro. Unter dem Strich schaffte das Unternehmen mit einem Überschuss von knapp 18 Millionen Euro die Rückkehr in die Gewinnzone.
Zudem konnte Konzernchef Derr im Juli die Jahresprognose erhöhen: Er kalkuliert mit einem Umsatzanstieg auf rund eine Milliarde Euro sowie mit einem operativen Gewinn von 130 bis 140 Millionen Euro. Dazu prognostiziert SGL ein leicht positives Konzernergebnis. Bisher hatte die Führung ein bestenfalls ausgeglichenes Ergebnis in Aussicht gestellt. Bei der neuen Prognose geht der Vorstand allerdings davon aus, dass Einkaufspreise und Logistikketten stabil und Produktionslinien in Betrieb bleiben. Es darf also keine Verschlechterungen der Rahmenbedingungen durch die Corona-Pandemie geben.
An SGL Carbon sind die Autobauer BMW und VW sowie BMW-Großaktionärin Susanne Klatten über ihre Beteiligungsgesellschaft Skion beteiligt.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Bei der Baader Bank ist man weiterhin zurückhaltend. Analyst Martin Schnee empfiehlt trotz eines zuletzt höheren Kursziels weiter eine Reduzierung der Aktien. Das Unternehmen befinde sich weiter in der Transformation, schrieb er jüngst in einer Studie. So hätten sich einige wichtige Kennziffern in die richtige Richtung verbessert, wenn auch nicht in allen Bereichen. Textilfasern, Automotive sowie der Halbleiterbereich seien die Treiber der positiven Entwicklung gewesen.
Dazu habe das Unternehmen von Einsparungen profitiert. Nachdem SGL Carbon bei seinem Programm zunächst die tief hängenden Früchte geerntet habe, scheine jedoch nun das Tempo nachzulassen, kommentierte er.
Dazu kritisierte er den Ausblick des Unternehmens. Die Annahme unveränderter Rohstoffpreise und Transportkosten des Karbonspezialisten sei in einem Umfeld starker Preissteigerungen nur schwer zu glauben. Zudem habe das Management die verzögerte Entwicklung bei der Ergebnisverbesserung später zum Teil mit diesen Preissteigerungen begründet. Das Unternehmen werde sich daher nicht gänzlich abkoppeln können.
Deutsche-Bank-Analyst Lars Vom-Cleff empfiehlt, die Aktie zu halten, auch wenn er ebenfalls nach der Vorlage erster Zahlen im Juli sein Kursziel erhöhte. Die Zahlen des Kohlefaserspezialisten seien unerwartet stark ausgefallen. Das Restrukturierungsprogramm scheine sich auszuzahlen.
DAS MACHT DIE AKTIE:
SGL Carbon gehört in diesem Jahr zu den größten Gewinnern an der Börse. Das Papier legte bislang um rund 150 Prozent zu. Von etwas über 3 Euro kommend konnte die Aktie im Juli nach der Prognoseerhöhung den höchsten Stand seit Ende 2018 erreichen. Anfang August knackte SGL Carbon fast die 11 Euro, fiel danach jedoch wieder etwas zurück. Aktuell kommt das Unternehmen auf eine Marktkapitalisierung von gut einer Milliarde Euro. Im März 2020 waren die Papiere unter die Marke von 3 Euro gerutscht auf ein Rekordtief. Erst im November kam mit dem Restrukturierungsprogramm wieder Leben in den Kurs, der sich in den folgenden sieben Monaten in etwa verdreifachte. In dieser Phase überwand die Aktie auch wieder die 200-Tage-Linie als Indikator für den längerfristigen Trend.
Blick man jedoch etwas weiter zurück, so ist für die Aktie noch Luft nach oben. So notierte das Papier im September 2017 noch bei mehr als 14 Euro. Das Jahr darauf begann der kontinuierliche Abstieg, der sich nach der Offenlegung der Probleme im Sommer beschleunigte und im März 2020 im Zuge des Corona-Crashs seinen Tiefpunkt erreichte. In den vergangenen fünf Jahren hat die Aktie rund ein Fünftel ihres Wertes eingebüßt.
Schaut man noch länger zurück, etwa in das Jahr 2011, sieht man noch Kurse um die 40 Euro. Auch da hatte sich SGL Carbon aus einem Tief herausarbeiten müssen. Insgesamt ist die Aktie nichts für schwache Nerven. So war das Papier 2002 schon einmal unter die Marke von 5 Euro gerutscht - da war der Fall mit Blick auf die Jahre zuvor sogar noch deutlich tiefer. Die 5 Euro waren damals nur ein Bruchteil der wenige Jahre davor erreichten Höchstkurse./nas/mne/he