BONN/HANNOVER (dpa-AFX) - Dreieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl haben die katholische und die evangelische Kirche Solidarität als Leitwert herausgestellt. "Gegenseitige Achtung, Solidarität und Gerechtigkeit halten unsere Gesellschaft zusammen", stellten der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, am Mittwoch in einem gemeinsamen Aufruf fest. "Wie wichtig ein gut funktionierender Sozialstaat ist, hat nicht zuletzt die Pandemie gezeigt."
Solidarität sei aber nicht nur innerhalb des eigenen Landes geboten, sondern mit der ganzen Menschheitsfamilie. Die Kirchen plädieren dementsprechend für eine großzügige Flüchtlingshilfe: "Die menschenunwürdigen Zustände an den Grenzen Europas müssen überwunden werden. Menschen, die zu ertrinken drohen, müssen gerettet werden. Der besondere Schutz der Familie muss auch und gerade für geflüchtete Familien gelten."
Ein achtsames, solidarisches und gerechtes Miteinander wirke einer Polarisierung der Gesellschaft entgegen und stärke die Gefühle von Zusammenhalt und Gemeinschaft. "Populistischer Stimmungsmache und hetzerischer Rede muss klar und unmissverständlich entgegengetreten werden", stellten Bätzing und Bedford-Strohm klar. "Gegenüber extremistischem Gedankengut sind rote Linien zu ziehen."
In den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik wurden mitunter vor Bundestagswahlen auch Wahlempfehlungen von kirchlicher Seite abgegeben. So nahm die Deutsche Bischofskonferenz 1980 in einem Hirtenbrief kaum verhüllt für die CDU/CSU Partei, was Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) schwer verärgerte. Er sprach von einem "Vertrauensbruch". In Anspielung darauf, dass die Bischöfe eine "gefährlich hohe Staatsverschuldung" kritisiert hatten, spottete Schmidt, ihm sei von einem "theologischen Lehramt für Staatsfinanzen" nichts bekannt. Im Rückblick wurde die Parteinahme auch von weiten Teilen der katholischen Kirche als Fehler bewertet.
Die beiden Bischöfe stellten nun ihrem "Aufruf zur Wahl des 20. Deutschen Bundestages" am 26. September ein Zitat aus dem zweiten Brief des Apostels Paulus an die Korinther - eine frühchristliche Gemeinde im antiken Griechenland - voran: "Im Augenblick soll euer Überfluss ihrem Mangel abhelfen, damit auch ihr Überfluss einmal eurem Mangel abhilft. So soll ein Ausgleich entstehen." Davon ausgehend leiten Bätzing und Bedford-Strohm die christliche Pflicht zur Solidarität ab: "Die Starken helfen den Schwachen."
Um Solidarität geht es aus Sicht der beiden Bischöfe auch beim Klimaschutz, denn "wer jetzt nicht entschlossen handelt, bürdet die Kosten und immateriellen Folgen unseres jetzigen Lebensstils den zukünftigen Generationen auf". Das wäre "unverantwortlich". Beim Thema Digitalisierung fordern sie mehr Verantwortung etwa bei der Programmierung von Algorithmen: "Der Umgang mit digitaler Kommunikation muss viel mehr als bisher von einer intensiven zivilgesellschaftlichen Debatte begleitet werden."/cd/DP/ngu