WIESBADEN/FRANKFURT (dpa-AFX) - Für Deutschlands Pendler bleibt das Auto klare Nummer 1 für die Fahrt zur Arbeit: Zwei Drittel der Erwerbstätigen (68 Prozent) fahren nach eigenen Angaben mit dem Pkw in die Firma oder ins Büro - auch auf kürzeren Strecken. Gerade einmal gut 13 Prozent nutzten nach Angaben des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2020 regelmäßig öffentliche Verkehrsmittel wie Bus, Straßenbahn, U-Bahn oder Zug für den Arbeitsweg. Auf das Fahrrad für die Fahrt zum Arbeitsplatz setzt sich regelmäßig jeder zehnte Erwerbstätige.
Im Vergleich zur letzten Erhebung für das Jahr 2016 sind die Prozentanteile der einzelnen Verkehrsmittel nahezu unverändert - trotz aller Appelle von Klimaschützern und Bemühungen der Politik, mehr Menschen dazu zu bringen, das Auto stehen zu lassen.
Der Trend geht den am Mittwoch veröffentlichten Zahlen zufolge sogar in die entgegengesetzte Richtung: Die "ungebrochene Dominanz des Autos als Beförderungsmittel" spiegele sich in aktuellen Daten zum Kraftfahrzeugbestand des Kraftfahrt-Bundesamtes wider, stellen die Wiesbadener Statistiker fest: Zum Stichtag 1. Januar 2021 waren demnach 48,2 Millionen Pkw in Deutschland zugelassen und damit 14 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor (1. Januar 2011: 42,3 Millionen).
"In den privaten Haushalten ging der Trend in den vergangenen zehn Jahren offenbar zum Zweit- oder Drittwagen", folgern die Statistiker. Der Anteil der Haushalte, die mindestens ein Auto besitzen, war 2020 mit 77,4 Prozent ähnlich hoch wie 2010 (77,6 Prozent). Im selben Zeitraum nahm jedoch die Zahl der Pkw pro Haushalt zu: Kamen 2010 auf 100 Haushalte 102 Autos, so waren es zehn Jahre später schon 108.
Auch für Kurzstrecken setzen sich viele Menschen in Deutschland lieber hinters Steuer als auf den Sattel oder in den Bus: Fast die Hälfte aller Erwerbstätigen (48 Prozent) hat nach eigenen Angaben weniger als 10 Kilometer zum Arbeitsplatz zurückzulegen. Für 29 Prozent ist der Weg zur Arbeit 10 bis 25 Kilometer lang, 14 Prozent legen 25 bis 50 Kilometer zurück.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes basieren auf einer alle vier Jahre durchgeführten Pendlererhebung. Die Angaben für das Jahr 2020 beziehen sich nach Angaben der Behörde auf die gut 38,9 Millionen der insgesamt 41,6 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland, die bei der Befragung Angaben zur Entfernung vom Wohnort zum Job sowie zu Zeitaufwand und Verkehrsmittel für den Arbeitsweg gemacht haben.
Teure Mieten in den Städten einerseits und große Nachfrage nach Arbeitnehmern in Ballungszentren andererseits treiben Millionen Arbeitnehmer, die auf dem Land leben, auf Straße und Schiene. Besonders im Umfeld größerer Städte nehmen viele Menschen zum Teil sehr lange Arbeitswege in Kauf. Die Folgen: verstopfte Autobahnen, überfüllte Personenzüge, Lärm und Abgase in den Städten.
Schon seit Jahren müht sich Deutschland um eine "Verkehrswende": Weniger Benziner und Dieselfahrzeuge und mehr Elektroautos, Stärkung der Schiene, bessere Vernetzung der einzelnen Verkehrsmittel. Denn der Verkehrssektor muss liefern, damit mittel- und langfristig verschärfte Klimaziele erreicht werden können.
Um einen Anreiz für einen Umstieg auf klimafreundliche Alternativen zu setzen, hat die Politik zu Jahresbeginn einen CO2-Preis im Verkehr eingeführt. Die Folge: Sprit ist teurer geworden. Im Gegenzug wurde die Pendlerpauschale für Arbeitnehmer mit längeren Fahrwegen erhöht.
Der Preis für klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) soll in den kommenden Jahren schrittweise steigen. Längst ist aber eine Debatte darüber entbrannt, ob es eine "Spritpreisbremse" geben muss - denn Millionen Pendler sind auch Millionen Wähler. Und sie sollen entlastet werden, so fordert es die Union. In einem "Sofortprogramm" der CDU heißt es: "Eine höhere Pendlerpauschale soll Mobilität auf dem Land bezahlbar halten."
In ihren Wahlprogrammen sprechen sich die meisten Parteien dafür aus, den öffentlichen Nahverkehr deutlich auszubauen. Die SPD will eine "Mobilitätsgarantie": Jeder Bürger - in der Stadt und auf dem Land - soll einen wohnortnahen Anschluss an den öffentlichen Verkehr haben.
Nur: Der Ausbau von Bussen und Bahnen gerade auf dem Land dauert Jahre und kostet Milliarden. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) kam in einem Ende August veröffentlichten Gutachten zu dem Schluss, dass Nahverkehrsunternehmen in Deutschland bis zum Jahr 2030 etwa 48 Milliarden Euro zusätzlich benötigen, um die EU-Klimaziele zu erreichen.
Die Bundesregierung hat den Weg Deutschlands zu Klimaneutralität bis Mitte des Jahrhunderts im Klimaschutzgesetz verankert. Demnach soll der Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 in Europas größter Volkswirtschaft bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 verringert werden, bis 2040 um mindestens 88 Prozent. 2045 will Deutschland Klimaneutralität erreichen, also nur noch so viele Treibhausgase ausstoßen wie wieder gebunden werden können.
Um die von der Bundesregierung vorgegebene Senkung des CO2-Ausstoßes zu schaffen, müsste dem VDV-Gutachten zufolge das Angebot an Bus- und Bahnverkehren in den Städten und auf dem Land um ein Viertel ausgebaut werden. Dadurch würden die Kosten bis zum Ende des Jahrzehnts um 89 Prozent gegenüber 2018 steigen.
Dazu kommen gerade in Großstädten der Ausbau von Radwegen und eine Debatte etwa darüber, Parkraum für Autos zu verteuern. Um Klimaziele zu schaffen, bleibt für deutlich mehr Elektroautos der Aufbau eines kundenfreundlichen und flächendeckenden Ladesäulennetzes eine Daueraufgabe. Wer auch immer nach der Wahl am 26. September die künftige Bundesregierung stellen wird: Die Verkehrswende bleibt eine der großen Herausforderungen./ben/hoe/DP/nas