Bern (ots) -
Bei einer Kollision mit einem Lastwagen oder Sattelschlepper sind Velofahrerinnen oder Fussgänger meist chancenlos und werden schwer verletzt oder versterben. Oftmals befinden sich die Opfer im toten Winkel des Lastwagens. Sogenannte Abbiegeassistenzsysteme für Lkws -welche ab Mitte 2022 bei neuzugelassenen Fahrzeugen zur Vorschrift in der EU und der Schweiz werden- sollen dies verhindern. Doch wie zuverlässig sind sie wirklich? Eine Untersuchung des TCS und der BFU zeigt, wie solche Assistenten Leben retten können.
In der Schweiz kommt es bei Rechtsabbiegeunfällen von Lastwagen gemäss polizeilicher Unfallstatistik im Schnitt (2011-2020) zu fünf schweren Personenschäden pro Jahr. Unter Berücksichtigung des Bestandes von ca. 53'000 zugelassenen Lastwagen und Sattelschleppern in der Schweiz sowie einer Vielzahl Fahrzeuge im Transit, sollen Lkw-Abbiegeassistenten auch hierzulande helfen, den Strassenverkehr besonders für ungeschützte Verkehrsteilnehmer (Vulnerable Road User - VRU) sicherer zu gestalten.
Abbiegeassistenten werden bei neuzugelassenen Lkws ab Mitte 2022 obligatorisch
Um das Unfallpotential von Lkws über 3,5 t zulässiger Gesamtmasse zu reduzieren, müssen alle neuen Lkw-Modelle ab 6. Juli 2022 bzw. alle neu zugelassenen Lastwagen ab dem 7. Juli 2024 europaweit entsprechend der General Safety Regulation (GSR) mit einem Lkw-Abbiegeassistenten ausgestattet werden. In der Schweiz sollen die neuen Anforderungen der GSR ohne Anpassungen und zeitgleich eingeführt werden, was der TCS und die BFU begrüssen.
Das Test-Setup
Da es bisher keinen marktumfassenden Vergleichstest von nachrüstbaren Lkw-Abbiegeassistenten gibt, haben der TCS und die BFU in Zusammenarbeit mit dem ADAC das Unfallvermeidungspotential von Lkw-Abbiegeassistenten untersucht. Getestet wurden Nachrüstsysteme für Lastwagen, die serienmässig keinen Abbiegeassistenten haben. Für den Vergleichstest wurden neun Abbiegeassistenzsysteme mit unterschiedlichen Technologien (Ultraschall, Radar, Kamera) durch eine Fachwerkstatt aufeinanderfolgend an einem Testfahrzeug montiert und anschliessend erprobt. Ziel war es, möglichst viele verschiedene Alltagssituationen zu testen - sowohl auf dem Testgelände als auch im realen Verkehr. Überprüft wurde etwa, ob die Geräte rechtzeitig auf Inlineskater und Rollstuhlfahrer reagieren und wie gross der jeweilige Abdeckungsbereich ist. Ausserdem wollten die Tester wissen was passiert, wenn sich parkierte Autos zwischen Lkw und Velofahrer befinden oder der Blinker (des Lkws) nicht benutzt wurde. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Frage gegeben, ob und wie oft Systeme Fehlwarnungen auslösen.
Grosse Qualitätsunterschiede bei den Systemen - Nachrüstsysteme ohne Notbremsfunktion
Vier der neun untersuchten Assistenz-Systeme schnitten mit "nicht empfehlenswert" ab, zwei wurden mit "sehr empfehlenswert" und zwei mit "empfehlenswert" bewertet. Testsieger ist der Assistent der Eyyes GmbH. Dieses System produzierte im realen Strassenverkehr keine Fehlmeldungen und konnte Radfahrer auch noch in einem seitlichen Abstand von sechs Metern zum Lkw erkennen. Die optische Rückmeldung an den Fahrer ist leicht und verständlich. Während alle getesteten Assistenten verschiedene ungeschützte Verkehrsteilnehmer (Vulnerable Road User - VRU), z.B. Fussgänger, Radfahrer, E-Scooter etc., zuverlässig als solche erkannten, war der Sichtbereich zur Seite bei einigen Systemen ungenügend. Als Folge können diese Abbiegeassistenten den Lkw-Fahrer beispielsweise nicht auf einen Radfahrer hinweisen, welcher parallel zum Lkw in einem Abstand von 2,75 oder mehr fährt.
Systeme ohne die Funktion der Klassifizierung generierten eine hohe Anzahl an Fehlwarnungen, welche sich negativ auf die Akzeptanz und das Vertrauen des Fahrers in den Abbiegeassistenten auswirken. Zudem zeigte sich, dass keines der getesteten Assistenzsysteme einen Radfahrer erkennen kann, wenn sich zwischen der Radfahr- und der Lkw-Spur Hindernisse, wie beispielsweise parkierte Fahrzeuge, befinden. Eine automatische Notbremsfunktion, die selbstständig eine Bremsung einleitet, sobald eine Kollision unvermeidbar ist, wird ausserdem bei den Nachrüstsystemen nicht angeboten.
Die Lkw-Abbiegeassistenten, die mit 4 oder 3 Sternen beurteilt wurden, zeichnet aus, dass sie statische Objekte und VRU unterscheiden können und keine Fehlwarnungen generierten. Ausserdem wurde der ungeschützte Verkehrsteilnehmer bei nahezu allen Geschwindigkeiten, Abständen und Testvarianten rechtzeitig erkannt und der Lkw-Fahrer mittels einer differenzierten optischen und akustischen Signalisierung darauf aufmerksam gemacht. Die Abbiegeassistenten die mit einem Stern bewertet wurden, generierten eine hohe Anzahl an Fehlwarnungen und verfügen über einen kleinen Sichtbereich, wodurch der Lastwagenfahrer häufig nicht bzw. nicht rechtzeitig gewarnt wurde. Zudem erkennen die Systeme von Rosho, AXION und Dometic den Radfahrenden nur, wenn dieser den Lkw überholt, jedoch nicht, wenn beide nebeneinander fahren oder der Lastwagen den Radfahrer überholt.
Pressekontakt:
Sarah Wahlen, Mediensprecherin TCS, 058 827 34 03, 079 123 46 91, sarah.wahlen@tcs.ch,
www.pressetcs.ch, www.flickr.com
Mara Zenhäusern, Mediensprecherin BFU, 031 390 21 21, medien@bfu.ch
Original-Content von: Touring Club Schweiz/Suisse/Svizzero - TCS, übermittelt durch news aktuell
Originalmeldung: https://www.presseportal.ch/de/pm/100000091/100877706
Bei einer Kollision mit einem Lastwagen oder Sattelschlepper sind Velofahrerinnen oder Fussgänger meist chancenlos und werden schwer verletzt oder versterben. Oftmals befinden sich die Opfer im toten Winkel des Lastwagens. Sogenannte Abbiegeassistenzsysteme für Lkws -welche ab Mitte 2022 bei neuzugelassenen Fahrzeugen zur Vorschrift in der EU und der Schweiz werden- sollen dies verhindern. Doch wie zuverlässig sind sie wirklich? Eine Untersuchung des TCS und der BFU zeigt, wie solche Assistenten Leben retten können.
In der Schweiz kommt es bei Rechtsabbiegeunfällen von Lastwagen gemäss polizeilicher Unfallstatistik im Schnitt (2011-2020) zu fünf schweren Personenschäden pro Jahr. Unter Berücksichtigung des Bestandes von ca. 53'000 zugelassenen Lastwagen und Sattelschleppern in der Schweiz sowie einer Vielzahl Fahrzeuge im Transit, sollen Lkw-Abbiegeassistenten auch hierzulande helfen, den Strassenverkehr besonders für ungeschützte Verkehrsteilnehmer (Vulnerable Road User - VRU) sicherer zu gestalten.
Abbiegeassistenten werden bei neuzugelassenen Lkws ab Mitte 2022 obligatorisch
Um das Unfallpotential von Lkws über 3,5 t zulässiger Gesamtmasse zu reduzieren, müssen alle neuen Lkw-Modelle ab 6. Juli 2022 bzw. alle neu zugelassenen Lastwagen ab dem 7. Juli 2024 europaweit entsprechend der General Safety Regulation (GSR) mit einem Lkw-Abbiegeassistenten ausgestattet werden. In der Schweiz sollen die neuen Anforderungen der GSR ohne Anpassungen und zeitgleich eingeführt werden, was der TCS und die BFU begrüssen.
Das Test-Setup
Da es bisher keinen marktumfassenden Vergleichstest von nachrüstbaren Lkw-Abbiegeassistenten gibt, haben der TCS und die BFU in Zusammenarbeit mit dem ADAC das Unfallvermeidungspotential von Lkw-Abbiegeassistenten untersucht. Getestet wurden Nachrüstsysteme für Lastwagen, die serienmässig keinen Abbiegeassistenten haben. Für den Vergleichstest wurden neun Abbiegeassistenzsysteme mit unterschiedlichen Technologien (Ultraschall, Radar, Kamera) durch eine Fachwerkstatt aufeinanderfolgend an einem Testfahrzeug montiert und anschliessend erprobt. Ziel war es, möglichst viele verschiedene Alltagssituationen zu testen - sowohl auf dem Testgelände als auch im realen Verkehr. Überprüft wurde etwa, ob die Geräte rechtzeitig auf Inlineskater und Rollstuhlfahrer reagieren und wie gross der jeweilige Abdeckungsbereich ist. Ausserdem wollten die Tester wissen was passiert, wenn sich parkierte Autos zwischen Lkw und Velofahrer befinden oder der Blinker (des Lkws) nicht benutzt wurde. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Frage gegeben, ob und wie oft Systeme Fehlwarnungen auslösen.
Grosse Qualitätsunterschiede bei den Systemen - Nachrüstsysteme ohne Notbremsfunktion
Vier der neun untersuchten Assistenz-Systeme schnitten mit "nicht empfehlenswert" ab, zwei wurden mit "sehr empfehlenswert" und zwei mit "empfehlenswert" bewertet. Testsieger ist der Assistent der Eyyes GmbH. Dieses System produzierte im realen Strassenverkehr keine Fehlmeldungen und konnte Radfahrer auch noch in einem seitlichen Abstand von sechs Metern zum Lkw erkennen. Die optische Rückmeldung an den Fahrer ist leicht und verständlich. Während alle getesteten Assistenten verschiedene ungeschützte Verkehrsteilnehmer (Vulnerable Road User - VRU), z.B. Fussgänger, Radfahrer, E-Scooter etc., zuverlässig als solche erkannten, war der Sichtbereich zur Seite bei einigen Systemen ungenügend. Als Folge können diese Abbiegeassistenten den Lkw-Fahrer beispielsweise nicht auf einen Radfahrer hinweisen, welcher parallel zum Lkw in einem Abstand von 2,75 oder mehr fährt.
Systeme ohne die Funktion der Klassifizierung generierten eine hohe Anzahl an Fehlwarnungen, welche sich negativ auf die Akzeptanz und das Vertrauen des Fahrers in den Abbiegeassistenten auswirken. Zudem zeigte sich, dass keines der getesteten Assistenzsysteme einen Radfahrer erkennen kann, wenn sich zwischen der Radfahr- und der Lkw-Spur Hindernisse, wie beispielsweise parkierte Fahrzeuge, befinden. Eine automatische Notbremsfunktion, die selbstständig eine Bremsung einleitet, sobald eine Kollision unvermeidbar ist, wird ausserdem bei den Nachrüstsystemen nicht angeboten.
Die Lkw-Abbiegeassistenten, die mit 4 oder 3 Sternen beurteilt wurden, zeichnet aus, dass sie statische Objekte und VRU unterscheiden können und keine Fehlwarnungen generierten. Ausserdem wurde der ungeschützte Verkehrsteilnehmer bei nahezu allen Geschwindigkeiten, Abständen und Testvarianten rechtzeitig erkannt und der Lkw-Fahrer mittels einer differenzierten optischen und akustischen Signalisierung darauf aufmerksam gemacht. Die Abbiegeassistenten die mit einem Stern bewertet wurden, generierten eine hohe Anzahl an Fehlwarnungen und verfügen über einen kleinen Sichtbereich, wodurch der Lastwagenfahrer häufig nicht bzw. nicht rechtzeitig gewarnt wurde. Zudem erkennen die Systeme von Rosho, AXION und Dometic den Radfahrenden nur, wenn dieser den Lkw überholt, jedoch nicht, wenn beide nebeneinander fahren oder der Lastwagen den Radfahrer überholt.
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