Düsseldorf (ots) -
Herr Florack, nach der Bundestagswahl ist die Koalitionsfrage offen: Ampel, Jamaika oder Große Koalition, welche ist die wahrscheinlichste?
Martin Florack: Mich hat gestern irritiert, dass die Groko am Wahlabend so gar keine Rolle gespielt hat. Sie bleibt aber eine Rückfalloption, wenngleich auch eine sehr ungeliebte, die uns 2017 schon mal begegnet ist. Und sie ist auch jetzt nicht vom Tisch, zumal wir durch die Bundespräsidenten-Wahl im Februar 2022 eine andere Gemengelage haben als zuletzt, als ja quasi der Bundespräsident Steinmeier die SPD in die Groko gedrängt hat. Wenn das Amt des Bundespräsidenten jetzt Teil einer Koalitionsrechnung in den Gesprächen sein wird, verändert das nochmal einiges.
Für Jamaika schien es am Wahlabend bei den Partei-Oberen eine gewisse Sympathie zu geben, während Wahlsieger Scholz zurückhaltend blieb.
Florack: Es war offensichtlich, dass Grüne und FDP vor dieser Elefantenrunde miteinander gesprochen haben. Das ist vielleicht die institutionell wichtigste Verschiebung: Nicht Union oder SPD suchen sich jemanden, mit dem sie gemeinsame Sachen machen. Sondern Grüne und FDP loten aus, was für sie gehen kann. Das ist auch ein taktischer Schachzug, weil ihnen klar ist, dass sie zwar mit Scholz verhandeln können, der Union aber auch Zeit geben müssen zu klären, mit wem dort überhaupt zu sprechen ist. Laschet würde sein Schicksal besiegeln, wenn er die Option nicht offen hielte, deswegen war das am Sonntagabend auch als Strohhalm dominant. Scholz musste nicht offensiv sein.
Geht es nach dem Wählerwillen, hat die SPD den Regierungsauftrag. Oder hat sie nicht?
Florack: Diesen berühmten Wählerwillen gibt es ja nicht, auch wenn er gerne bemüht wird. Uns ist doch allen klar geworden am Sonntag, dass wir als Wähler diese Wahl eben nicht entscheiden, sondern nur eine parlamentarische Ausgangslage schaffen. Der Wählerwille ist eine reine Konstruktion der politischen Rhetorik ohne echte Substanz, eine Interpretationsschlacht. Das macht es für Wähler durchaus frustrierend, denn unser direkter Einfluss auf die künftige Regierung ist begrenzt.
Wie ist das Comeback der SPD zu erklären?
Florack: Die Stärke der SPD ist auch die Schwäche der Union. Unter den drei Kandidaten hat Scholz nicht nur keine Fehler gemacht, sondern er hat sich stilistisch als Bewahrer des Merkelismus dargestellt. Merkel hat diese Unions-Führerschaft immer vergleichsweise leicht wirken lassen. Erst in den letzten Wochen ist deutlich geworden, wie stark der Union in ihrer Reputation an Merkel gebunden war. Und: Nach 16 Jahren Kanzlerschaft sind Parteien immer ausgelaugt. Insofern ist das Abschneiden der Union auch nicht alleine Armin Laschet anzulasten. Der Erosionsprozess hat viele Ursachen.
Bricht das auf in der CDU oder versammelt sie sich als Machtpartei nochmal hinter Laschet?
Florack: Es laufen verschiedene Motivlagen zusammen. Jene, die ein Interesse haben zu regieren, müssen mit Laschet eine Regierungsperspektive erarbeiten. Jene, die Jamaika verhindern wollen, die sägen möglicherweise weniger am Bündnis als mehr an Laschet und zetteln eine innerparteiliche Palastrevolte an. Dann haben wir die Landesverbände mit zum Teil dramatisch schlechten Ergebnissen, die für die dortigen Akteure politisch bedrohlich werden können. Und dann gibt es die Bundestagsfraktion, der eine besondere Bedeutung innerhalb der Union zukommt. Klar ist: Die Union kommt auch emotional aus der gefühlten Position der ewigen Kanzlerschaft. Sie wäre in der Opposition aber damit konfrontiert, dass sie kaum mehr Ämter und Jobs zu verteilen hätte. Das setzt die ganze Partei unter Druck, weil es ja auch politische Karrieren minimiert.
Wie könnte Olaf Scholz die FDP auf seine Seite ziehen? Die Liberalen scheinen nicht Ampel willig zu sein.
Florack: Man muss bei der FDP unterscheiden zwischen den Wählern und der Parteimitgliedschaft, da sehen wir große Diskrepanzen. Bei den Mitgliedern und einem Teil der Anhängerschaft ist die Ampel nicht wohl gelitten, das ist bei den Grünen mit Jamaika genauso. Bei der Wählerschaft ist das Bild weniger eindeutig: Die Wähler passen ihre Wahrnehmung durchaus schnell den Realitäten an. Darauf kommt es also nicht an. Es ist nicht alleine die Frage, was Scholz anbietet, sondern wie die FDP eine eigene Chance für sich erkennt, und wie sie einen Spin reinbringt, der aus der alten Tradition von Lagerlogiken herauskommt. FDP und Grüne wollen beide regieren. Vielleicht lauert sonst auch wieder die Große Koalition.
Das Grünen-Ergebnis ist eigentlich ein kleines Drama, wenn man sieht, dass sie mal in Umfragen bei 30 Prozent standen. Ist von Friday for Future wenig übriggeblieben?
Florack: Es war immer eine Fehlkalkulation, wie wichtig alleine die Fridays for Future sind: Die Wählergruppe unter 30 spielt keine zentrale Rolle für den Wahlausgang. Die nackten Zahlen sagen: Das Ü60-Lager entscheidet, und da hat die SPD die Wahl gewonnen, weil sie dort zulasten der Union punkten konnte. Da kommen große Wählergruppen zustande. Die Grünen sind ihrer eigenen Erfolgsbotschaft untreu geworden. Sie haben sich auf die klassischen Spielchen eingelassen: Warum haben die überhaupt die Spitzenkandidatenfrage geklärt? Sie hätten es anders machen können, nach dem Motto: Wir haben ein starkes Duo, dass die Partei zusammenhält. Wäre das nicht genau der neue Gedanke gewesen, der das Versprechen von großem Aufbruch dokumentiert hätte? Sie hätten den Mitbewerbern sagen können: Spielt ihr eure alten Spielchen, wir machen es anders und gehen ins Risiko. Haben sie aber nicht gesagt. Und: Grüne waren am Ende immer in den Umfragen stärker als am Wahltag.
Was ist Ihre interessanteste Erkenntnis aus dieser Wahl?
Florack: Das Abschmelzen der Volksparteien hat Grenzen, sie binden doch noch. Die AfD ist nicht weiter gewachsen, sie ist aber der natürliche Nachfolger der Linkspartei als Ostpartei. Der Linken geht es strukturell an den Kragen. Und: Das Dreierformat ist in den Ländern längst normal, der Bund holt es nun zeitlich nach. Dreierbündnisse aber brauchen zusätzliche Legitimationsstiftung. Die nächste Koalition muss mehr sein als die Summe der Einzelteile, damit sie funktioniert.
Was bedeutet das Ergebnis im Hinblick auf die Landtagswahl in NRW 2022?
Florack: Die Wahrscheinlichkeit, dass Laschet noch Ministerpräsidenten bleibt, ist extrem gering. Vielmehr dürften die Diadochenkämpfe im Landesverband starten. Die Frage liegt insofern schon jetzt weniger bei Laschet als im Landesverband. Kompliziert wird es, weil der Ministerpräsident auch Mitglied des Landtags sein muss. Chancen, das in der Landesverfassung zu ändern, wurden verpasst. 2002 wurden auch deswegen Peer Steinbrück Ministerpräsident, nun steckt die CDU in einer Zwickmühle. NRW und der Bund waren zuletzt stark miteinander verkoppelt. Die letzte Bundestagswahl war faktisch für die SPD verloren, nachdem sie wenige Monate zuvor in Düsseldorf in die Opposition musste. 2005 haben wir nach einer Landtagswahl Neuwahlen im Bund bekommen. Und die Wahl im Mai 2022 hängt natürlich extrem daran, was wir nun für eine Bundesregierung bekommen.
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Herr Florack, nach der Bundestagswahl ist die Koalitionsfrage offen: Ampel, Jamaika oder Große Koalition, welche ist die wahrscheinlichste?
Martin Florack: Mich hat gestern irritiert, dass die Groko am Wahlabend so gar keine Rolle gespielt hat. Sie bleibt aber eine Rückfalloption, wenngleich auch eine sehr ungeliebte, die uns 2017 schon mal begegnet ist. Und sie ist auch jetzt nicht vom Tisch, zumal wir durch die Bundespräsidenten-Wahl im Februar 2022 eine andere Gemengelage haben als zuletzt, als ja quasi der Bundespräsident Steinmeier die SPD in die Groko gedrängt hat. Wenn das Amt des Bundespräsidenten jetzt Teil einer Koalitionsrechnung in den Gesprächen sein wird, verändert das nochmal einiges.
Für Jamaika schien es am Wahlabend bei den Partei-Oberen eine gewisse Sympathie zu geben, während Wahlsieger Scholz zurückhaltend blieb.
Florack: Es war offensichtlich, dass Grüne und FDP vor dieser Elefantenrunde miteinander gesprochen haben. Das ist vielleicht die institutionell wichtigste Verschiebung: Nicht Union oder SPD suchen sich jemanden, mit dem sie gemeinsame Sachen machen. Sondern Grüne und FDP loten aus, was für sie gehen kann. Das ist auch ein taktischer Schachzug, weil ihnen klar ist, dass sie zwar mit Scholz verhandeln können, der Union aber auch Zeit geben müssen zu klären, mit wem dort überhaupt zu sprechen ist. Laschet würde sein Schicksal besiegeln, wenn er die Option nicht offen hielte, deswegen war das am Sonntagabend auch als Strohhalm dominant. Scholz musste nicht offensiv sein.
Geht es nach dem Wählerwillen, hat die SPD den Regierungsauftrag. Oder hat sie nicht?
Florack: Diesen berühmten Wählerwillen gibt es ja nicht, auch wenn er gerne bemüht wird. Uns ist doch allen klar geworden am Sonntag, dass wir als Wähler diese Wahl eben nicht entscheiden, sondern nur eine parlamentarische Ausgangslage schaffen. Der Wählerwille ist eine reine Konstruktion der politischen Rhetorik ohne echte Substanz, eine Interpretationsschlacht. Das macht es für Wähler durchaus frustrierend, denn unser direkter Einfluss auf die künftige Regierung ist begrenzt.
Wie ist das Comeback der SPD zu erklären?
Florack: Die Stärke der SPD ist auch die Schwäche der Union. Unter den drei Kandidaten hat Scholz nicht nur keine Fehler gemacht, sondern er hat sich stilistisch als Bewahrer des Merkelismus dargestellt. Merkel hat diese Unions-Führerschaft immer vergleichsweise leicht wirken lassen. Erst in den letzten Wochen ist deutlich geworden, wie stark der Union in ihrer Reputation an Merkel gebunden war. Und: Nach 16 Jahren Kanzlerschaft sind Parteien immer ausgelaugt. Insofern ist das Abschneiden der Union auch nicht alleine Armin Laschet anzulasten. Der Erosionsprozess hat viele Ursachen.
Bricht das auf in der CDU oder versammelt sie sich als Machtpartei nochmal hinter Laschet?
Florack: Es laufen verschiedene Motivlagen zusammen. Jene, die ein Interesse haben zu regieren, müssen mit Laschet eine Regierungsperspektive erarbeiten. Jene, die Jamaika verhindern wollen, die sägen möglicherweise weniger am Bündnis als mehr an Laschet und zetteln eine innerparteiliche Palastrevolte an. Dann haben wir die Landesverbände mit zum Teil dramatisch schlechten Ergebnissen, die für die dortigen Akteure politisch bedrohlich werden können. Und dann gibt es die Bundestagsfraktion, der eine besondere Bedeutung innerhalb der Union zukommt. Klar ist: Die Union kommt auch emotional aus der gefühlten Position der ewigen Kanzlerschaft. Sie wäre in der Opposition aber damit konfrontiert, dass sie kaum mehr Ämter und Jobs zu verteilen hätte. Das setzt die ganze Partei unter Druck, weil es ja auch politische Karrieren minimiert.
Wie könnte Olaf Scholz die FDP auf seine Seite ziehen? Die Liberalen scheinen nicht Ampel willig zu sein.
Florack: Man muss bei der FDP unterscheiden zwischen den Wählern und der Parteimitgliedschaft, da sehen wir große Diskrepanzen. Bei den Mitgliedern und einem Teil der Anhängerschaft ist die Ampel nicht wohl gelitten, das ist bei den Grünen mit Jamaika genauso. Bei der Wählerschaft ist das Bild weniger eindeutig: Die Wähler passen ihre Wahrnehmung durchaus schnell den Realitäten an. Darauf kommt es also nicht an. Es ist nicht alleine die Frage, was Scholz anbietet, sondern wie die FDP eine eigene Chance für sich erkennt, und wie sie einen Spin reinbringt, der aus der alten Tradition von Lagerlogiken herauskommt. FDP und Grüne wollen beide regieren. Vielleicht lauert sonst auch wieder die Große Koalition.
Das Grünen-Ergebnis ist eigentlich ein kleines Drama, wenn man sieht, dass sie mal in Umfragen bei 30 Prozent standen. Ist von Friday for Future wenig übriggeblieben?
Florack: Es war immer eine Fehlkalkulation, wie wichtig alleine die Fridays for Future sind: Die Wählergruppe unter 30 spielt keine zentrale Rolle für den Wahlausgang. Die nackten Zahlen sagen: Das Ü60-Lager entscheidet, und da hat die SPD die Wahl gewonnen, weil sie dort zulasten der Union punkten konnte. Da kommen große Wählergruppen zustande. Die Grünen sind ihrer eigenen Erfolgsbotschaft untreu geworden. Sie haben sich auf die klassischen Spielchen eingelassen: Warum haben die überhaupt die Spitzenkandidatenfrage geklärt? Sie hätten es anders machen können, nach dem Motto: Wir haben ein starkes Duo, dass die Partei zusammenhält. Wäre das nicht genau der neue Gedanke gewesen, der das Versprechen von großem Aufbruch dokumentiert hätte? Sie hätten den Mitbewerbern sagen können: Spielt ihr eure alten Spielchen, wir machen es anders und gehen ins Risiko. Haben sie aber nicht gesagt. Und: Grüne waren am Ende immer in den Umfragen stärker als am Wahltag.
Was ist Ihre interessanteste Erkenntnis aus dieser Wahl?
Florack: Das Abschmelzen der Volksparteien hat Grenzen, sie binden doch noch. Die AfD ist nicht weiter gewachsen, sie ist aber der natürliche Nachfolger der Linkspartei als Ostpartei. Der Linken geht es strukturell an den Kragen. Und: Das Dreierformat ist in den Ländern längst normal, der Bund holt es nun zeitlich nach. Dreierbündnisse aber brauchen zusätzliche Legitimationsstiftung. Die nächste Koalition muss mehr sein als die Summe der Einzelteile, damit sie funktioniert.
Was bedeutet das Ergebnis im Hinblick auf die Landtagswahl in NRW 2022?
Florack: Die Wahrscheinlichkeit, dass Laschet noch Ministerpräsidenten bleibt, ist extrem gering. Vielmehr dürften die Diadochenkämpfe im Landesverband starten. Die Frage liegt insofern schon jetzt weniger bei Laschet als im Landesverband. Kompliziert wird es, weil der Ministerpräsident auch Mitglied des Landtags sein muss. Chancen, das in der Landesverfassung zu ändern, wurden verpasst. 2002 wurden auch deswegen Peer Steinbrück Ministerpräsident, nun steckt die CDU in einer Zwickmühle. NRW und der Bund waren zuletzt stark miteinander verkoppelt. Die letzte Bundestagswahl war faktisch für die SPD verloren, nachdem sie wenige Monate zuvor in Düsseldorf in die Opposition musste. 2005 haben wir nach einer Landtagswahl Neuwahlen im Bund bekommen. Und die Wahl im Mai 2022 hängt natürlich extrem daran, was wir nun für eine Bundesregierung bekommen.
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