ROM (dpa-AFX) - Die scheidende Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr voraussichtlicher Nachfolger Olaf Scholz (SPD) haben beim G20-Gipfel in Rom gemeinsam US-Präsident Joe Biden getroffen. Auf Fotos ist zu sehen, wie die drei Politiker am Samstag auf Augenhöhe um einen Tisch sitzen. Zuvor hatten die nur noch geschäftsführende Regierungschefin und ihr Finanzminister zusammen mit Biden an einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und dem britischen Premierminister Boris Johnson zum Iran teilgenommen. Anschließend forderten alle vier gemeinsam Teheran zu einer schnellen Rückkehr in das Abkommen zur Verhinderung einer iranischen Atombombe auf, um "eine gefährliche Eskalation zu vermeiden".
Beim eigentlichen Gipfel war die Bekämpfung der Corona-Pandemie das Hauptthema. Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi stellte sich als G20-Vorsitzender hinter das Ziel der Weltgesundheitsorganisation WHO, bis Mitte 2022 70 Prozent der Bevölkerung aller Länder der Welt gegen das gefährliche Virus impfen zu lassen. Man nähere sich jetzt schon dem Ziel, bis Ende Dezember 40 Prozent der Menschen zumindest eine Impfdosis zu geben. "Nun müssen wir alles tun, um bis Mitte 2022 70 Prozent zu erreichen."
Draghi kritisierte die großen Unterschiede bei den Impffortschritten. Während in reichen Staaten rund 70 Prozent der Einwohner mindestens einmal geimpft seien, falle die Quote bei den ärmsten Ländern auf drei Prozent. Diese Unterschiede seien "moralisch nicht akzeptabel" und würden den weltweiten Kampf gegen die Pandemie untergraben.
WHO fordert Gerechtigkeit bei Impfstoffverteilung
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus appellierte eindringlich an die G20 zu handeln. "Wie viel mehr Menschen werden noch sterben, in dieser und in künftigen Pandemien?" sagte er. "Die Antwort liegt in Ihren Händen." Sieben Milliarden Impfdosen seien bislang verabreicht worden, aber nur 0,4 Prozent davon in den Ländern mit niedrigen Einkommen, 80 Prozent in den G20-Ländern. Jeder habe Verständnis dafür, dass Regierungen zunächst ihre eigenen Bevölkerungen schützen wollten. "Aber für Gleichheit bei der Impfstoffverteilung zu sorgen ist kein Akt der Wohltätigkeit, es ist im besten Interesse jedes Landes", sagte Tedros.
Die Gesundheits- und Finanzminister der G20 hatten sich bereits bei ihrem Treffen am Freitag hinter das 70-Prozent-Ziel der WHO gestellt. Unklar ist aber, was die wirtschaftsstarken Industrie- und Schwellenländer genau tun wollen, um dieses Ziel zu erreichen. Nach WHO-Angaben sind aktuell 48,7 Prozent der Weltbevölkerung mindestens einmal geimpft. Das von der Universität Oxford unterstützte Statistik-Portal "Our World in Data" gibt die Zahl der vollständigen Impfungen mit 38 Prozent der Weltbevölkerung an.
China setzt Deutschland im Patent-Streit unter Druck
EU-Ratspräsident Charles Michel sprach nach Angaben von Teilnehmern in der Arbeitssitzung von einer moralischen Verpflichtung zur Weitergabe von Impfstoffen und forderte die Umsetzung von Spenden- und Lieferzusagen. Der per Video zugeschaltete chinesische Staatschef Xi Jinping warb für Ausnahmen bei den Patenten für Impfstoffe und setze damit Deutschland unter Druck. Die Bundesregierung gilt als schärfster Gegner eines solchen Schritts. Sie argumentiert, eine Aussetzung der Patente könnte die Innovationsbereitschaft der Unternehmen bremsen.
Weißes Haus nennt Scholz Schulz
Merkel und Scholz absolvierten fast das ganze Gipfel-Programm gemeinsam, trafen auch Argentiniens Präsidenten Alberto Fernández sowie mit dem Premierminister Singapurs, Lee Hsien Loong. Das Weiße Haus muss sich an den wahrscheinlich künftigen Kanzler noch gewöhnen. In einer Mitteilung zu der Begegnung Bidens mit ihm wurde er Olaf Schulz mit u statt o genannt.
Scholz selbst hatte den gemeinsamen Rom-Besuch mit Merkel als Signal der Kontinuität in der deutschen Außenpolitik bezeichnet. Beim Gipfel selbst war aber protokollarisch alles wie immer: Merkel saß zusammen mit den Staats- und Regierungschefs am ovalen Verhandlungstisch, die Finanzminister und damit auch Scholz nahmen dahinter an Einzeltischen Platz.
Xi und Putin fehlen in Rom
Zwei wichtige Staatschefs fehlen in Rom: Xi und der russische Präsident Wladimir Putin reisten wegen der Corona-Pandemie nicht an. Vor allem für das zweite Hauptthema Klimaschutz ist das nicht ganz unproblematisch: China ist der größte Produzent von klimaschädlichen Treibhausgasen. Xi und Putin wollen sich aber immerhin per Video zuschalten.
Insgesamt ist die G20 für mehr als drei Viertel der Emissionen verantwortlich. Über neue Zusagen im Kampf gegen die Erderwärmung gibt es weiter Uneinigkeit. Beim Gipfel ist der Klimaschutz erst am Sonntag Topthema. Parallel beginnt im schottischen Glasgow die Weltklimakonferenz, bei der es darum geht, wie das 2015 im Pariser Klimaabkommen formulierte Ziel erreicht werden kann, die gefährliche Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Die G20 vereint knapp zwei Drittel der Weltbevölkerung und vier Fünftel der weltweiten Wirtschaftskraft. Merkel wird bei ihrem letzten Gipfel auch von ihrem Ehemann Joachim Sauer begleitet. Er nahm am Partnerprogramm teil, das unter anderem einen Besuch im Kolosseum vorsah.
Tausende Menschen protestieren friedlich
Während des Treffens der Spitzenpolitiker im Süden Roms protestierten in der Innenstadt Tausende Menschen gegen G20. Zunächst blieben die Kundgebungen friedlich. Bei einem Demo-Marsch zog ein Bündnis unter anderem mit Klima-Aktivisten und linken Gruppe knapp zwei Kilometer durch die Stadt; auf der Strecke hatte die Polizei Einfahrten und Brücken gesperrt. Einige Teilnehmer zündeten Bengalos und Feuerwerk, die Polizei musste aber ebenso wenig einschreiten wie bei einer fast parallelen Kundgebung der Kommunistischen Partei.
Am Morgen hatten einige Dutzend Klimaschützer in der Nähe des Tagungsgeländes eine Straße blockiert. Die Polizei trug die sitzenden Demonstranten von der Fahrbahn. Bereits am Freitag hatte es kleinere, friedliche Protestaktionen gegeben. Italien hatte für den G20-Gipfel das Polizeiaufgebot stark erhöht und fast 5300 zusätzliche Sicherheitskräfte angefordert. Das Militär sichert mit etwa 2000 Soldaten wichtige Orte wie Bahnhöfe, Botschaften und Ministerien./mfi/DP/zb