DJ IWH: Nachtragshaushalt kann ausgebliebene Investitionen nicht kompensieren
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Die von Finanzminister Christian Lindner (FDP) per Nachtragshaushalt geplante Zuführung von 60 Milliarden Euro an den Energie- und Klimafonds wird nach Berechnungen des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) den Nachholbedarf an Investitionen nur in geringem Maße decken. Nach der Mittelfristprojektion des Instituts dürften die beabsichtigten Mehrausgaben auf dem Höhepunkt ihrer Wirksamkeit im Jahr 2024 die Produktion um etwa 0,5 Prozent steigern, teilte das IWH mit.
"Allerdings werden die zusätzlichen Investitionen die seit Pandemiebeginn ausgebliebene Investitionstätigkeit bei weitem nicht kompensieren", sagte IWH-Vizepräsident Oliver Holtemöller. Die Mehrausgaben dürften ungefähr im gleichen Umfang auch eine Ausweitung privater Investitionstätigkeit nach sich ziehen. "Die zu erwartenden Effekte der Mehrausgaben sind somit eher gering, und der gesamtwirtschaftliche Kapitalstock bleibt dauerhaft kleiner als noch vor der Pandemie projiziert", erklärte das IWH. Dies habe bleibende negative Folgen für das Produktionspotenzial.
Den positiven gesamtwirtschaftlichen Effekten stehe zudem gegenüber, dass der Nachtragshaushalt das Vertrauen in die Verlässlichkeit der Schuldenbremse reduzieren dürfte. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive schienen kreditfinanzierte Maßnahmen zur Steigerung der öffentlichen und privaten Investitionen allerdings vertretbar, betonte das IWH. Sie könnten das Produktionspotenzial stärken, zumal die anstehende Dekarbonisierung der Wirtschaft die Produktionskapazitäten zusätzlich schwächen dürfte, denn sie sei mit Abschreibungen von Teilen des bestehenden Kapitalstocks verbunden.
Zu berücksichtigen sei aber auch, dass das "Parken von Kreditermächtigungen in einem Nebenhaushalt" den Intentionen der deutschen Schuldenbremse wohl widerspreche und die Zulässigkeit juristisch umstritten sei. "Letztlich gilt es für die Politik, die positiven gesamtwirtschaftlichen Effekte zusätzlicher Investitionen und die negativen Effekte auf die Glaubwürdigkeit der Schuldenregel gegeneinander abzuwägen", sagte Holtemöller.
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January 26, 2022 06:43 ET (11:43 GMT)
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