(neu: Absage Treffen Blinken-Lawrow in Genf)
MOSKAU/BERLIN (dpa-AFX) - Nach der Aggression in der Ostukraine kann Russlands Präsident Wladimir Putin milliardenschwere Geschäfte mit der Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 erst einmal abschreiben. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) stoppte am Dienstag das Genehmigungsverfahren für die Pipeline. Die EU beschloss harte Strafen gegen Russland. Auch die USA kündigten neue Sanktionen an. US-Präsident Joe Biden nannte Putins Pläne den "Beginn einer Invasion". Er rechnet weiter mit einem großangelegten Angriff Russlands auf das Nachbarland.
Der Kremlchef hatte am Montag die Unabhängigkeit der Separatistenregionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkannt und eine Entsendung russischer Soldaten angeordnet. Putin plant zum zweiten Mal nach 2014 einen Einmarsch in die Ukraine. Das Parlament in Moskau ratifizierte am Dienstag die Anerkennung. Das Oberhaus des Parlaments stimmte einem Truppeneinsatz zu.
Der Westen wirft Putin vor, gegen das Völkerrecht zu verstoßen. Russland hat nach westlichen Angaben etwa 150 000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen.
Die von Biden angekündigten US-Strafmaßnahmen werden sich gegen zwei große Banken, gegen den Handel mit russischen Staatsanleihen und gegen Unterstützer Putins und deren Familien richten. Biden betonte, die USA seien zu noch härteren Schritten bereit, falls Russland sein Vorgehen gegen die Ukraine weiter vorantreiben sollte.
Russland strebt nach den Worten Putins nicht nach der Wiedererrichtung eines Imperiums. "Das entspricht absolut nicht der Wirklichkeit", sagte Putin. Bei einer Fernsehansprache am Vorabend hatte er den Staat Ukraine infrage gestellt.
Die Kriegsgefahr könnte durch die Entscheidung Putins steigen, die Separatistenregionen in ihren ursprünglichen ukrainischen Grenzen anzuerkennen. Der Anspruch der Aufständischen, die bislang nur etwa 32 Prozent der Gebiete Luhansk und Donezk kontrollieren, geht damit deutlich über ihr bisher verwaltetes Gebiet hinaus. Das birgt die Gefahr neuer Kämpfe mit den ukrainischen Regierungstruppen. Bei einer Pressekonferenz erklärte Putin auch den Minsker Friedensplan für die Ostukraine für erledigt.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht trotz allem keine erhöhte Kriegsgefahr. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, wertete die Rede Putins allerdings als "Kriegserklärung".
Scholz verurteilte die Entscheidung Putins. Er hält es für möglich, dass die vorläufig gestoppte Gaspipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Deutschland nie in Betrieb geht. "Jetzt jedenfalls ist das eine Situation, in der niemand darauf wetten sollte", sagte der Kanzler. Er hatte zuvor das Genehmigungsverfahren für den Betrieb der fertiggestellten Pipeline ausgesetzt.
Die 1230 Kilometer lange Pipeline ist nach Angaben des russischen Gaskonzerns Gazprom im September 2021 fertiggestellt worden.
Die USA begrüßten den Schritt der Bundesregierung, wie Jen Psaki, Sprecherin von Präsident Joe Biden, auf Twitter schrieb: "Wir haben uns im Lauf der Nacht eng mit Deutschland abgestimmt."
Die Gasversorgung der Europäischen Union ist nach Einschätzung der EU-Kommission trotz des Konflikts vorerst sicher. Die Gasspeicher seien derzeit zu etwa 30 Prozent gefüllt.
Putin will trotz bevorstehender Sanktionen des Westens die Gaslieferungen ins Ausland nicht stoppen. "Russland beabsichtigt, die ununterbrochenen Lieferungen dieses Rohstoffs, einschließlich des Flüssiggases, an die Weltmärkte fortzusetzen", sagte er.
Nach dem Stopp des Genehmigungsverfahrens für Nord Stream 2 droht Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew mit deutlich steigenden Gaspreisen. "Nun gut, herzlich willkommen in der neuen Welt, in der die Europäer bald 2000 Euro pro 1000 Kubikmeter Gas zahlen", schrieb der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrats bei Twitter.
Ein für Donnerstag geplantes Treffen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow sagte US-Außenminister Antony Blinken ab. Mit Blick auf das Vorgehen Moskaus habe es keinen Sinn, an dem in Genf angesetzten Gespräch festzuhalten, sagte Blinken. Die US-Regierung sei jedoch grundsätzlich weiter zu diplomatischen Gesprächen bereit.
Die EU verhängt neue Sanktionen gegen Russland. Die Außenminister der 27 Mitgliedstaaten stimmten bei einem Sondertreffen in Paris einem entsprechenden Vorschlag der EU-Kommission und des Auswärtigen Dienstes zu. Die Strafmaßnahmen sollen bereits an diesem Mittwoch in Kraft treten.
Demnach soll der Handel mit russischen Staatsanleihen verboten werden. Zudem sollen mehrere Hundert Personen und Unternehmen auf die EU-Sanktionsliste kommen. Darunter wären nach Angaben von Diplomaten rund 350 Abgeordnete des russischen Parlaments, die für die Anerkennung gestimmt haben, aber auch Banken, die in der Ostukraine Geschäfte machen. Sie sollen sich jedoch vorerst nicht gegen Putin persönlich richten.
Auch Großbritanniens Premierminister belegte fünf russische Banken sowie drei wohlhabende russische Staatsbürger mit Sanktionen./rom/DP/he