
DJ Berenberg: Kompletter Gasausfuhrstopp träfe Russland stärker als EU
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Berenberg-Volkswirte Holger Schmieding und Salomon Fiedler halten einen kompletten und langfristigen Stopp russischer Gasausfuhren in die EU für extrem unwahrscheinlich, weil er Russland mehr als der EU schaden würde. Gleichwohl weisen sie auf das Risiko hin, dass die EU in diesem Falle Schwierigkeiten hätte, ihre Vorräte vor dem nächsten Winter ausreichend aufzufüllen. Zudem gebe es innerhalb der EU große Unterschiede in der Abhängigkeit von russischem Gas.
"Eine langfristige und vollständige Unterbrechung der Erdgaslieferungen aus Russland in die EU halten wir für sehr unwahrscheinlich", schreiben die Analysten. Sollte es allerdings dazu kommen, würde ein Aufschub der Stilllegung von Kohlekraftwerken das Problem zwar abmildern, aber nicht lösen. Es würde zudem den EU-Klimaschutzzielen zuwiderlaufen und wäre höchst umstritten.
"Es würde wahrscheinlich viele Jahre dauern, bis alternative Energiequellen wie erneuerbare Energien und Kernenergie die Lücke in der EU schließen könnten und wahrscheinlich auch, bis Russland neue Pipelines gebaut und alternative Abnehmer für sein Erdgas gefunden hätte", argumentieren Schmieding und Fiedler.
Da ein solches Vorgehen die russische Petroökonomie aber wahrscheinlich noch stärker treffen würde als die EU, scheine es noch weit genug entfernt, um die wirtschaftlichen und finanziellen Aussichten nicht entscheidend zu beeinflussen.
Innerhalb Europas ist die Abhängigkeit von russischem Gas sehr unterschiedlich. Einige Länder wie Tschechien und Ungarn beziehen fast ihre gesamten Gaseinfuhren aus Russland, während es bei anderen Ländern wie Frankreich, Spanien, Portugal und Belgien weniger als 20 Prozent sind. Der EU-Durchschnitt liegt bei 38 Prozent, Deutschland kommt auf 65 Prozent.
Nach dem Ausbau der Verteilungsnetze innerhalb der EU in den vergangenen Jahren könnten die großen regionalen Unterschiede nach Einschätzung der Berenberg-Analysten kurzfristig wahrscheinlich durch eine Umverteilung des verfügbaren Gases innerhalb der Region etwas ausgeglichen werden.
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February 23, 2022 08:15 ET (13:15 GMT)
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