DJ Schnabel: EZB muss entschlossen gegen Inflation vorgehen
Von Hans Bentzien
JACKSON HOLE (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) muss nach den Worten von EZB-Direktorin Isabel Schnabel entschlossen gegen die sehr hohe Inflation vorgehen. Schnabel sagte beim geldpolitischen Symposium in Jackson Hole, wenn die Hartnäckigkeit der Inflation unklar sei, müsse die Zentralbank kraftvoll handeln, wobei egal sei, ob es sich um einen angebots- oder nachfrageseitigen Schock handele.
"Wenn eine Zentralbank die Persistenz der Inflation unterschätzt - wie es die meisten von uns in den vergangenen anderthalb Jahren getan haben - und wenn sie ihre Politik infolgedessen nur langsam anpasst, können die Kosten beträchtlich sein", warnte Schnabel.
Einen weiteren Grund für eine im Zweifel entschlossenen Reaktion der Zentralbank auf eine erhöhte Inflation sieht die EZB-Direktorin in der Notwendigkeit, das Vertrauen der Öffentlichkeit zu bewahren bzw. zu gewinnen. "Umfragen deuten darauf hin, dass der Anstieg der Inflation das Vertrauen in unsere Institutionen zu schwächen beginnt. Vor allem junge Menschen haben keine lebendige Erinnerung an die Inflationsbekämpfung durch die Zentralbanken", sagte Schnabel.
Die EZB beobachte einen stetigen und anhaltenden Anstieg der mittel- und langfristigen Inflationserwartungen in Teilen der Bevölkerung, der die Gefahr berge, dass die Inflation über den ersten Schock hinaus anhalte. Die EZB-Direktorin verwies darauf, dass die mittelfristigen Inflationserwartungen auf 3 bis 5 Prozent zugelegt hätten und die langfristig auf 2,2 Prozent.
Schnabel zufolge drängen sich zwei Erklärungen für den Anstieg der Inflationserwartungen auf: "Die eine ist, dass die höheren mittelfristigen Inflationserwartungen auf den Eindruck zurückzuführen sein könnten, dass die Geldpolitik zu langsam auf die derzeitige hohe Inflation reagiert hat", sagte sie.
Ein Grundprinzip einer optimalen Geldpolitik bei einer über dem Zielwert liegenden Inflation bestehe darin, die Zinsen um mehr als die Veränderung der erwarteten Inflation anzuheben - das Taylor-Prinzip. "Wenn die realen kurzfristigen Zinssätze nicht steigen, ist die Geldpolitik im Umgang mit der hohen Inflation unwirksam."
Als zweite Erklärung bietet sich Schnabel zufolge an, dass die höheren Inflationserwartungen grundlegendere Bedenken widerspiegeln, möglicherweise im Zusammenhang mit der Dominanz der Steuer- und Finanzpolitik oder mit der jüngsten Überprüfung des geldpolitischen Rahmens der Zentralbanken, die sich mehr auf die Herausforderungen einer zu niedrigen als einer zu hohen Inflation konzentriert habe.
"All diese Faktoren könnten dazu geführt haben, dass die Inflationstoleranz höher und der Wunsch nach einer Stabilisierung der Produktion stärker geworden ist", sagte die EZB-Direktorin. Um diese Wahrnehmung zu durchbrechen, seien entschlossene Maßnahmen erforderlich. "Wenn die Ungewissheit über unsere Reaktionsfunktion das Vertrauen in unser Engagement für die Sicherung der Preisstabilität untergräbt, ist ein vorsichtiger Ansatz bei der Politikgestaltung nicht mehr der richtige Weg."
Schnabel nannte schließlich noch ein dritten Argument für ein entschlossenes Vorgehen der Zentralbanken: Handelten sie zu spät, dann könnten die Kosten dieses Zögerns noch höher ausfallen als in den 1980er Jahren. Gründe hierfür seien die geringere Zinssensitivität der Volkswirtschaften, der schwächere Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Inflation und die stärkere Relevanz globaler Faktoren für die Inflationsentwicklung.
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August 27, 2022 14:14 ET (18:14 GMT)
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