DJ IMK sieht aktuell keinen Handlungsdruck für die EZB
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat der Europäischen Zentralbank (EZB) einen "riskanten Kurs" attestiert und eine abwartende Zinspolitik angemahnt. "Um die Inflation einzudämmen, hat sie die Leitzinsen mehrfach deutlich erhöht und weitere Zinsschritte in Aussicht gestellt. Das gefährdet Konjunktur, Beschäftigung und Klimaziele - und es ist aktuell angesichts der Trends bei der Preisentwicklung unnötig" erklärte das Institut unter Verweis auf eine neue Studie. Spätestens im Laufe des nächsten Jahres dürfte die Inflationsrate wieder nahe der EZB-Zielinflation von 2 Prozent liegen. Aktuell bestehe "kein Handlungsdruck für die EZB", und weitere Leitzinserhöhungen brächten erhebliche Risiken.
"Eine besonnene Geldpolitik ist jetzt besonders wichtig", heißt es in der Analyse von Silke Tober und Thomas Theobald vom IMK. "Sofern es im Euroraum keine gesamtwirtschaftliche Überauslastung der Kapazitäten gibt, die übermäßige Gewinn- und Lohnsteigerungen auch nach Auflösung der Preisschocks und der Lieferengpässe erlauben, ist eine geldpolitische Restriktion mit dem Ziel einer Reduzierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage und eine dadurch induzierte Erhöhung der Arbeitslosigkeit nicht erforderlich", schrieben sie. Es sei ratsam, die Wirkung der bisherigen Zinserhöhungen abzuwarten, da diese erst mit Verzögerung einsetze.
Mehrere Faktoren trügen dazu bei, dass die Inflation derzeit noch sehr hoch sei. Zum einen dauere es einige Zeit, bis sinkende Preise für Rohstoffe über oft komplexe Herstellungsprozesse in Endprodukten und bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ankämen. Zum zweiten verringerten sich die Lieferengpässe in einigen Bereichen nur langsam und erlaubten es Unternehmen, die Preise zu erhöhen und ihre Gewinnmargen zu steigern. Auch die Preisschocks selbst hätten Gewinnmitnahmen ermöglicht.
Eine mögliche Gefahr stellten zwar grundsätzlich Zweitrundeneffekte dar, die dazu führten, dass die Inflation über einen längeren Zeitraum hoch bleibe. Nach der jüngsten Prognose der EZB dürften die Löhne im Euroraum in diesem Jahr um 5,3 Prozent und im kommenden Jahr um 4,4 Prozent steigen. Das sei aber noch unproblematisch, so das IMK. Der "Lohndruck" habe zwar zugenommen, dürfte sich aber nicht fortsetzen, schrieben Tober und Theobald. Der Grund sei, dass sinkende Energiepreise und schrumpfende Gewinne in Bereichen, in denen sich Engpässe auflösten, das "leichte Überschießen" der Löhne im Euroraum ausgleichen dürften. Zudem enthielten die Lohnabschlüsse häufig Einmalzahlungen, die nicht dauerhaft wirkten.
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June 07, 2023 04:32 ET (08:32 GMT)
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